Frank A. Meyer – die Kolumne
So

Publiziert: 30.05.2021 um 01:17 Uhr
Frank A. Meyer

Der Bundesrat verzichtet also auf ein Rahmenabkommen mit der Europäischen Union. Er «zerreisst» das Vertragswerk sogar, wie ein Schmeichler schreibt, der eilfertig hinzufügt: «Das war die richtige Entscheidung.» Was ist vom Schritt des Siebnerkollegiums zu halten?

Ist es so, wie der Blick lobhudelt: «Gratulation an den Bundesrat»?

Oder ist es so, wie der Blick spottet: «Heilige Souveränität – die liebste Selbstlüge der Schweiz»?

Es ist genau so, wie der Blick lobhudelt und spottet – nämlich so und so.

Souveränität im Herzen der Europäischen Union gibt es nicht, auch nicht, wenn man sie diplomatensprachlich als «autonomen Nachvollzug» vortäuscht. Entweder ist man autonom, also souverän. Oder man vollzieht nach.

Doch da man nun mal schicksalsbedingt mitten im Herzen der EU ein behütetes und profitables Wirtschaftsleben lebt, leistet man sich hochgemut Forderungen an eben diese EU, welche ihrerseits nicht um die Schweiz herumkommt, und zwar auch dann nicht, wenn Verhandlungen über eine Ordnung im Gewirr von 120 Einzelverträgen scheitern – welche wiederum die Abhängigkeit der Schweiz von der EU dokumentieren.

Was ist erreicht mit der Liquidation des Rahmenabkommens? Die Bauwirtschaft muss kein Lohndumping durch Firmen aus Baden-Württemberg befürchten; der Lohnschutz bleibt gewahrt. Pierre-Yves Maillard hat das bewerkstelligt, der Boss des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes – und damit das Aus für den Rahmenvertrag besiegelt. Der Linke als Komplize der Rechten, die weder den Rahmenvertrag noch überhaupt einen europäischen Rahmen will. Wenns Spitz auf Knopf steht, entfesseln bisweilen auch Provinzbonzen wuchtig Wirkung.

Von Finnland bis Italien, von Estland bis Portugal erstreckt sich die wirtschaftlich wichtigste Gemeinschaft des Globus. Gewiss, gewiss, die Lohnprobleme mit dem Nachbarn Baden-Württemberg sind nicht gering zu schätzen, sie wiegen die Beziehungen zur Gesamt-EU auf – aus Schweizer Sicht.

Ja, die Schweizer Sicht hats in sich. Das Land schwimmt in der EU wie der Fisch im Wasser. Fragt man den Fisch nach dem Wasser, fragt er zurück: Was ist das – Wasser?

Diesem Selbstverständnis will der Bundesrat mit dem Verzicht auf einen Rahmenvertrag gerecht werden. Er kapituliert vor dem Volk. Das ist nicht unehrenhaft, nur ein bisschen duckmäuserisch. Wirklich ehrenhaft wäre gewesen, mit dem Vertrag vors Volk zu treten und kämpfend unterzugehen – oder eben doch zu siegen.

Das Schweizer Volk ist nämlich nicht das Volk der rechten und linken Populisten. Es gehört ihnen nicht. Es gehört sich selbst. Und eigentlich würde es sich auch gehören, dass der Bundesrat auf dieses Volkes-Volk hört.

Wie weiter? So wie bisher: Die Schweiz bleibt Passivmitglied der Europäischen Union. Die Schweiz ist die Schweiz ist die Schweiz. Auch nach ihrem historisch widersinnigen Entscheid.

Wenn Kinder auf dem Töpfchen sitzen und ihr Geschäft gemacht haben, sagen sie – stolz und zufrieden mit sich selbst:

«So.»

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