Spuren führen zu leeren Räumen in Cham ZG – und Satiriker Andreas Thiel
AfD-nahes Radio hat Sitz in der Schweiz

«Kontrafunk» heisst ein neuer Radiosender für AfD-Anhänger und Corona-Skeptikerinnen. Seine Adresse führt zu leeren Räumen in Cham ZG – und zu Firmen von Satiriker Andreas Thiel.
Publiziert: 10.07.2022 um 01:27 Uhr
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Aktualisiert: 10.07.2022 um 09:40 Uhr
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Der offizielle Sitz des neuen Webradios Kontrafunk befindet sich in einem heruntergekommenen Bürogebäude in Cham ZG.
Fabian Eberhard

Deutschland hat ein neues Webradio. Seit dem 21. Juni, Punkt sechs Uhr, sendet «Kontrafunk» – ein Sprachrohr für Impfskeptikerinnen, Massnahmen-Gegner und AfD-Anhänger.

Laut den Machern will der neue Sender ein Gegenprogramm zum «milliardenteuren Verlautbarungsapparat der Regierungssender» bieten, aber auch zur «bodenlos falschen Nachrichtengebung im Zusammenhang mit der ‹sogenannten› Corona-Virus-Pandemie».

Das Radio war gerade 30 Stunden online, als es prominente Unterstützung aus der rechtsextremen Ecke erfuhr. Björn Höcke, Einpeitscher der Partei Alternative für Deutschland (AfD), schrieb auf Twitter: «Wer eine journalistisch hochwertige Alternative zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk sucht, hat nun eine echte Alternative: Seit gestern sendet Kontrafunk ein 24-Stunden-Programm.»

Startkapital von 1,2 Millionen Euro?

Doch wer steckt hinter dem neuen Radio, das gemäss eigenen Angaben über ein Startkapital von 1,2 Millionen Euro verfügt? Der Firmensitz von Kontrafunk befindet sich in einem heruntergekommenen Bürogebäude in Cham ZG. An der gleichen Adresse sind gemäss Handelsregister 50 weitere Unternehmen eingetragen. Nur: Dort ist niemand. Ein langer Gang, leer stehende Zimmer, die Türen durchnummeriert: 2.007, 2.008, 2.009.

Das Einzige, was in Cham auf den neuen Radiosender hindeutet, ist ein grüner Aufkleber an einem Briefkasten vor dem Gebäude. Auf dem gleichen Briefkasten prangen die Namen von drei weiteren Firmen: Hummelflug AG, Serafin Film AG und Gretchen AG. Die drei Unternehmen haben zwei Gemeinsamkeiten: Sie sind in der Filmbranche tätig – und sie gehören Andreas Thiel.

Thiel will keine Auskunft geben

Der rechtskonservative Satiriker, der in den letzten Jahren vor allem als Redner an Corona-Demos von sich reden machte, hat auf Kontrafunk eine eigene Talkshow: Yogagaga, «sprachphilosophische Betrachtungen aus der Schweiz». Was aber hat er mit dem Radio zu tun? Ist er Geschäftspartner, Mitbesitzer oder doch nur Moderator? Die Frage ist dem sonst so wortgewandten Satiriker offenbar unangenehm. Erst antwortet er nicht auf Anfragen, dann schreibt er, er sei gerade in einer Filmproduktion und erst im Oktober wieder ansprechbar.

Als offizieller Gründer und Inhaber von Kontrafunk fungiert Burkhard Müller-Ullrich. Der deutsche Journalist war langjähriger Moderator des Deutschlandfunks und Talkshow-Host bei SWR2, zudem schrieb er für seriöse Zeitungen. In seinem Twitter-Profil beschreibt er sich als Dieselfahrer, Waffenbesitzer und Vielflieger. Sein Motto: «Die Medien sind unser Unglück.» Eine Anlehnung an den bekannten Satz «Die Juden sind unser Unglück» aus der Zeit des Nationalsozialismus?

Klar ist: Müller-Ullrich ist schon vor Jahren scharf rechts abgebogen. 2017 trat er der AfD bei, in der Corona-Pandemie radikalisierte er sich weiter. Im letzten Jahr warf er seinen Journalisten-Kollegen öffentlich «Dummheit und Charakterlosigkeit» vor, Deutschlandfunk und SWR2 beendeten die Zusammenarbeit mit ihm.

Müller-Ullrich: Flucht in die Schweiz?

Der Kontrafunk-Gründer lebt teilweise in der Schweiz. Im Interview mit der rechten Wochenzeitung «Junge Freiheit» sagte er, er sei vor der deutschen Corona-Politik hierher geflohen.

Bleibt die Frage: Warum hat ein deutsches Radio seinen Sitz im zugerischen Cham? Kritikerinnen und Kritiker vermuten, dass die Hintermänner von Kontrafunk damit Deutschlands Qualitätsauflagen für Medien umgehen wollen, die etwa dann greifen, wenn auf dem Radiosender Desinformation gestreut wird. So behauptete eine Ärztin, allein die Gabe von Vitamin D verhindere 80 Prozent der schweren Corona-Verläufe. Alte Menschen «die noch zu Hause leben, die noch ein paar Vitamine nehmen, die haben keine schweren Verläufe» Mehr noch: Durch die Impfungen werde «das Immunsystem der Menschen beschädigt».

Dass die Regeln für Medien in Deutschland eine Rolle bei der Wahl des Firmensitzes gespielt haben könnten, tönte auch AfD-Politiker Björn Höcke auf Facebook an. «Da es sich um ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz handelt, unterliegt es nicht dem seit 2020 geltenden deutschen Medienstaatsvertrag, durch den der bundesdeutsche Journalismus juristisch gegängelt wird», schrieb er.

SonntagsBlick hätte gern mit Burkhard Müller-Ullrich darüber geredet. Doch er schwieg – ebenso wie Andreas Thiel.

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