«King Charles sollte sich mehr um Schottland kümmern»
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Politikwissenschaftler:«King Charles sollte sich mehr um Schottland kümmern»

Sicherheitsexperte Peter R. Neumann
«Neutralität kann auch heissen, gegen Russland Position zu beziehen»

Der renommierte Politikwissenschaftler Peter R. Neumann warnt, der Westen zerstöre sich selbst. Und er regt eine offensivere Schweizer Aussenpolitik an.
Publiziert: 11.09.2022 um 09:58 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2022 um 15:35 Uhr
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Diktatoren wie der Kreml-Herrscher Wladimir Putin fordern den Westen heraus.
Foto: keystone-sda.ch
Danny Schlumpf

Herr Neumann, Sie leben in London. Wie ist die Stimmung nach dem Tod der Queen?
Peter R. Neumann: Ihr Tod ist eines der seltenen Ereignisse, die nicht überraschen, aber trotzdem ein Schock sind. Wer jünger als 80 Jahre ist, hat noch nie ein anderes britisches Staatsoberhaupt erlebt. Sie war das Logo des Königreichs. Nun kommt König Charles auf die Briefmarken, die Hymne muss geändert werden.

Hat der Tod der Queen politische Folgen?
Sie war das beständige Symbol eines bisweilen uneinigen Königreichs. So war sie im aufmüpfigen Schottland sogar bei Gegnern der Union beliebt. Dort könnte der Rückhalt für eine Verbindung mit England nun bröckeln.

Die neue Premierministerin heisst Liz Truss. Was bedeutet das für England?
Truss wurde als Imitatorin der neoliberalen Säulenheiligen Margaret Thatcher gewählt. Aber sie wird vieles von dem fortsetzen, wofür Boris Johnson stand, nur ohne seinen Witz und sein Charisma. Jetzt steuert England in eine historische Wirtschaftskrise. Nicht wenige gehen davon aus, dass Truss schon bald wieder von Johnson entthront wird.

Welche Politik wird sie gegenüber Putin verfolgen?
Die gleiche wie Johnson, eine explizit pro-ukrainische. Im Gegensatz zu Deutschland oder der Schweiz gibt es in England keine Debatte über den Grad an Unterstützung, den die Ukraine verdient.

Die Schweiz beteiligt sich an den Sanktionen gegen Russland, aber sie hält an der klassischen Neutralität fest. Eine Lockerung hat der Bundesrat soeben verworfen. Ist das im heutigen geopolitischen Umfeld noch praktikabel?
Was bedeutet Neutralität? Das kann heissen, dass ein Land sich gleichgültig gegenüber Richtig und Falsch verhält. Es kann aber auch bedeuten, auf der Seite neutraler Prinzipien wie dem Völkerrecht zu stehen. Diese neutrale Ordnung zu verteidigen, hiesse, Position zu beziehen gegen einen Aggressor wie Russland und für ein Opfer wie die Ukraine. Mich verwundert, dass Länder wie die Schweiz oder Österreich diese inhaltliche Diskussion nicht intensiver führen.

Autoritäre Diktaturen sind zu massiven Konkurrenten der liberalen westlichen Demokratien geworden. Dabei sah es nach dem Sturz der Sowjetunion so aus, als wäre der Siegeszug der liberalen Moderne unbestritten. Was ist schiefgelaufen?
Naivität und Selbstüberschätzung führten immer wieder zu Gegenreaktionen, von den Anschlägen auf die Twin Towers in New York bis zum Erstarken des Populismus in Europa. Auch das Internet ist ein Beispiel dafür, wohin übertriebener Idealismus führt. Vor 20 Jahren dachten alle, dank des Internets würde die ganze Welt wie wir. Doch autoritäre Regime und Terroristen nutzen dieses Instrument für ihre eigenen Zwecke. Und auch innerhalb unserer Gesellschaft wird das Internet zur Zerstörung des demokratischen Diskurses eingesetzt.

9/11, Afghanistan, Irak – das sind Niederlagen der westlichen Demokratien an den Fronten. Wie steht es um die Idee der liberalen Moderne in ihrem Innern?
Ein zentrales Problem ist die Polarisierung der westlichen Gesellschaften. Eine Reihe von liberalen Politik-Ansätzen führte zu rechtspopulistischen Gegenreaktionen. So wurden aus idealistischen Motiven unfertige Konstruktionen wie die Währungsunion oder der Schengenraum durchgeboxt. Am Ende standen die Euro- und die Flüchtlingskrise. Das Ziel hiess Einigung, das Ergebnis war Spaltung.

Persönlich

Peter R. Neumann (47) wurde in Würzburg (D) geboren. Er ist Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London, wo er von 2008 bis 2018 das International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) leitete. 2014 war er Berater der USA bei den Vereinten Nationen, 2017 Sonderbeauftragter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Peter R. Neumann (47) wurde in Würzburg (D) geboren. Er ist Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London, wo er von 2008 bis 2018 das International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) leitete. 2014 war er Berater der USA bei den Vereinten Nationen, 2017 Sonderbeauftragter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Der Aufstieg von Populisten wie Boris Johnson und Viktor Orban gehört ebenfalls in diesen Kontext, wie Sie in Ihrem jüngsten Buch «Die neue Weltunordnung» schreiben. Werden die Populisten auch wieder verschwinden?
Der Brexit kam nur drei Monate nach dem Ende der Flüchtlingskrise 2016. Das ist kein Zufall. Damals erstarkten die Rechtspopulisten überall in Europa und sie sind immer noch stark. In Italien wird mit Giorgia Meloni wohl schon bald eine Frau an die Macht kommen, die aus der faschistischen Tradition stammt. Wenn sich die Wirtschaftskrise verschärft, erhalten der Front National in Frankreich und die AfD in Deutschland weiter Auftrieb. Der Populismus ist zu einem festen Bestandteil westlicher Gesellschaften geworden.

Die liberale Moderne kämpft fast ununterbrochen mit massiven Gegenreaktionen. Ist sie am Ende selbst das Problem?
Es gibt Stimmen, die sagen: Lasst uns den ganzen Quatsch mit Demokratie und liberalen Werten beenden und nur noch zynische Interessenpolitik betreiben. Aber diese Werte sind unsere Werte. Das Ideal der Aufklärung gehört zu unserer Demokratie. Wir halten die Menschenrechte für richtig. Aber wir brauchen eine bessere Balance. Wir müssen unsere Werte leben, ohne damit dauernd Gegenreaktionen zu provozieren.

Wie kann das gelingen?
Wir sollten bescheidener und ehrlicher zu uns selbst sein. Wir müssen uns fragen, welche Konsequenzen unser Handeln hat. Wenn sich aus Afghanistan keine neue Schweiz machen lässt, dürfen wir nicht die Erwartung schüren, dass das möglich sei. Es geht darum, Mittel und Ziele in Einklang zu bringen. Wir sollten die liberale Moderne nicht über Bord werfen, sondern sie nachhaltiger gestalten.

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