Jesus meinte es gut: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Doch einige der Geistlichen nutzten das aus. Sie vergingen sich über Jahrhunderte an Kindern und Jugendlichen. Ein tiefschwarzes Kapitel. Lange vertuschte die katholische Kirche das wahre Ausmass. Jetzt brachte SonntagsBlick einen neuen Fall ans Tageslicht. Das zeigt: Die Dunkelziffer von Opfern ist gross. Licht ins Dunkel soll am Dienstag ein Bericht der Universität Zürich bringen.
Im Ausland hat die katholische Kirche den sexuellen Missbrauch teils schon seit Jahren aufgearbeitet. In der Schweiz ist mit der Universität Zürich zum ersten Mal ein unabhängiges Forscherteam in Geheimarchive gestiegen und hat mit Priestern und Missbrauchsopfern gesprochen. Der Churer Bischof Joseph Bonnemain (75) sagte 2022 dazu vor den Medien: «Nur wenn wir all das schonungslos aufdecken und benennen, tragen wir zur Gerechtigkeit bei.» Hier die Übersicht der Ereignisse.
2002 – Die erste Welle aus dem Ausland
Den Ausschlag gab ein weltweiter Aufschrei. Die Zeitung «Bosten Globe» deckt einen riesigen Missstand in den USA auf: Allein in der Erzdiözese Boston hatten rund 90 Priester gut 1000 Kinder und Jugendliche missbraucht. Die Schweizer Bischofskonferenz reagiert, erlässt Richtlinien gegen sexuelle Übergriffe und schafft das kirchliche Gremium «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld».
2010 – Es rumort in der Schweiz
Nun häufen sich die Missbrauchsverdachtsfälle. Schlagzeilen machen die Klosterschulen Einsiedeln SZ und Disentis GR. Und der im Thurgau verhaftete Priester, den die Staatsanwaltschaft wegen sexuellen Missbrauchs bestraft. 2019 ist er erneut in den Medien, weil er in Riehen BL fast wieder eine Anstellung bekommt. Aber auch der Film «Das Kinderzuchthaus» über den Missbrauch im Kinderheim Rathausen LU löst zahlreiche Meldungen von Opfern von Geistlichen auf. Und führt zu Studien, die ehemalige kirchennahe Heime und Schulen ins Visier nehmen.
All das hat Folgen: Die Schweizer Bischofskonferenz entschuldigt sich bei den Gläubigen. Sie erklärt: «Wir müssen eingestehen, wir haben das Ausmass der Situation unterschätzt.» Und die erste Schweizer Betroffenen-Organisation, die Sapec, formiert sich. Sie macht fortan Druck.
2011 – Der Fall Kloster Einsiedeln
Der damalige Klosterabt Martin Werlen (61) setzt eine unabhängige Untersuchungskommission ein, die aufdeckt: Im Kloster Einsiedeln und den ihm angeschlossenen Institutionen haben sich während 65 Jahren 15 Mönche der sexuellen Übergriffe schuldig gemacht. 40 Betroffene kommen zu Schaden. Den ganzen Bericht darf die Kommission aber nicht öffentlich machen – bis heute bleibt er unter Verschluss.
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Bis 2014 – Tatort Kinderheim
Weitere Untersuchungen in anderen Einrichtungen folgen. Das Kloster Ingebohl in Brunnen SZ entschuldigt sich, weil Schwestern bis 1970 den Kindern der Erziehungsanstalt Rathausen schweres Leid zugefügt haben. Auch das Kloster Fischingen TG bittet um Entschuldigung für sexuelle Übergriffe im Heim St. Iddazell in den 70er-Jahren.
2016 – Die Bischöfe reagieren
Die Schweizer Bischöfe schaffen die Kommission «Genugtuung für Opfer von verjährten sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld» und richten einen Genugtuungsfonds ein. Der Maximalbetrag liegt bei 20’000 Franken.
2018 – Der Fall Joël Allaz
Ein weiterer gravierender Fall im Umfeld der katholischen Kirche kommt ans Licht: Der Kapuzinerpater Joël Allaz hat über 50 Jahre lang Dutzende Kinder sexuell missbraucht. Eine unabhängige Untersuchungskommission weist nach: Die Kirche hat weggeschaut. Dem Kapuzinerorden und dem Bistum Lausanne, Genf, Freiburg sind seit den 1970er-Jahren Übergriffe bekannt. Der damals höchste Kapuziner der Schweiz, Frate Agostino Del-Pietro, bittet um Entschuldigung: Man sei «nach damaliger Gepflogenheit» bemüht gewesen, eine Anzeige gegen eine «kirchliche Person und damit einen öffentlichen Skandal zu vermeiden».
2022 – Pilotprojekt der Universität Zürich
Forscherinnen der Universität Zürich untersuchen die sexuellen Übergriffe der katholischen Kirche in der Schweiz. Ihr Bericht, der am Dienstag veröffentlicht wird, ist Start einer viel grösseren Untersuchung. «Dieser Schritt ist für die katholische Kirche in der Schweiz historisch», so Bischof Bonnemain. Dies, weil sämtliche Vertreter und Organisationen der Kirche der Aufarbeitung zugestimmt hätten. Also neben der Bischofskonferenz auch die Kantonalkirchen sowie die Klöster und Ordensgemeinschaften. Es ist das erste Mal, dass sie ihre Archive öffnen.