Stört es Sie, dass der Osterhase heute wichtiger ist als der christliche Hintergrund des Osterfests?
Josef Stübi: Ich freue mich für jedes Kind, das sich über den Osterhasen freut. Das haben wir als Kinder auch getan. Natürlich würde ich mich als Pfarrer und jetzt als Weihbischof freuen, wenn die christliche Botschaft bei den Menschen präsenter wäre. Ostern ist für viele nur noch ein verlängertes Wochenende. Mich stört aber eher: Kaum ist Weihnachten vorbei, gibts in den Geschäften schon Osterhasen zu kaufen.
Das Christentum geht davon aus: Jesus wurde gekreuzigt, ist gestorben und wurde begraben. Und dann ist er auferstanden. Können Sie das wirklich glauben?
Zur Zeit Jesu wurden Schwerbrecher gekreuzigt. Auch der Tod ist eine Gewissheit, die wir alle kennen. Die Auferstehung hingegen kann man nicht einfach nachweisen. Das ist eine Frage des Glaubens. Ich glaube an die Auferstehung.
Bislang ist noch kein toter Mensch wieder lebendig geworden.
Jesus hat genau dieses Unvorstellbare wahr gemacht. In jeder Messe feiern wir dies als «Geheimnis des Glaubens». Zum Glauben gehört also ein Geheimnis, das wir nicht erklären können. Wir können es aber deuten. Für mich ist Ostern das Fest einer grossen Liebe. Die Liebe Gottes ist stärker als alles – sogar stärker als der Tod. Dies zeigt sich in Tod und Auferstehung Jesu.
Sie haben mit 17 Jahren Ihren Vater verloren.
Es war eine schreckliche Zeit. Wir lebten auf einem Bauernhof, mein Vater ist bei einem Arbeitsunfall in der Jauchegrube ums Leben gekommen.
Wie haben Sie damals reagiert?
Ich kam wie jeden Abend vom Gymnasium nach Hause. Der Leichnam des Vaters war unter einem Leintuch. Ich sehe noch heute meine damals zwölfjährige Schwester, wie sie in der Küche steht, das Geschirr abtrocknet und weint. Wie der Arzt meiner Mutter ein Beruhigungsmittel gibt. Es war eine schlimme Zeit, wir mussten den Hof eine Woche später aufgeben. Ich denke, jene Zeit hat mich Ostern nähergebracht. Der Karfreitag steht für den Tod. Aber nicht der Tod hat das letzte Wort, sondern Ostern. Am Tag des Unglücks sagte ich abends zu meiner Mutter: «Jetzt haben wir jemanden im Himmel.»
Josef Stübi (62) stammt aus Rothenburg LU. Er war zuletzt Pfarrer von Baden AG und zügelt nun nach Solothurn. Papst Franziskus hat ihn zum neuen Weihbischof des Bistums Basel ernannt. Die Bischofsweihe war am 26. Februar in der Kathedrale von Solothurn. Als Weihbischof ist Josef Stübi Teil der Bistumsleitung. Der Chef des Bistums Basel bleibt aber Bischof Felix Gmür (56).
Josef Stübi (62) stammt aus Rothenburg LU. Er war zuletzt Pfarrer von Baden AG und zügelt nun nach Solothurn. Papst Franziskus hat ihn zum neuen Weihbischof des Bistums Basel ernannt. Die Bischofsweihe war am 26. Februar in der Kathedrale von Solothurn. Als Weihbischof ist Josef Stübi Teil der Bistumsleitung. Der Chef des Bistums Basel bleibt aber Bischof Felix Gmür (56).
Ist das ein starker oder ein schwacher Trost?
Für mich war das ein starker Trost. Natürlich war es brutal, meinen Vater zu verlieren. Aber auch als 17-Jähriger versucht man, das Beste aus der Situation zu machen. «Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Zeit», sagt Jesus. Und so habe ich mich auch im Hinblick auf meinen Vater gefühlt: Mein Vater ist jetzt im Himmel und passt auf uns auf. Und manchmal hilft es, nicht nach dem Warum zu fragen, sondern nach dem Wozu.
Was meinen Sie damit?
Ich möchte dem schrecklichen Unfall keinen Sinn geben. Mein Bruder hat aber später einmal gesagt, der Tod des Vaters habe uns zusammengeschweisst. Ich habe meine Mutter viele Jahre später einmal gefragt, wie sie das alles geschafft hat. Sie hat geantwortet: «Nur mit dem Glauben.» Mehr hat sie nicht gesagt. Die Frage nach dem Warum ist verständlich, bringt uns aber oftmals nicht weiter.
Sie sind innerhalb der Schweizer Bischofskonferenz für «Justitia et Pax» zuständig. Das ist die Kommission, die sich auch zu Kriegen äussert. Muss die christliche Friedensbewegung umdenken und sagen «Frieden schaffen mit Waffen»?
Grundsätzlich nicht. Jesus ruft zur Gewaltlosigkeit auf. Jesus würde sagen: «Hört mit diesen Kriegen auf!» Wir wissen von Mahatma Gandhi, dass man mit Gewaltlosigkeit ein Empire in die Knie zwingen kann. Aber Pazifismus ist aktuell wohl keine adäquate Antwort auf Putin. Die Ukrainerinnen und Ukrainer haben das Recht, sich zu verteidigen. Die christliche Botschaft ist eine Botschaft des Friedens, aber auch eine Botschaft der Gerechtigkeit.
Sie waren in der Schweizer Armee. Könnten Sie jemanden töten?
Ich stand vor der Frage, Offizier zu werden oder nicht. Als Offizier müsste ich Schiessbefehle erteilen. Als Soldat hingegen hätte ich immer noch die Möglichkeit, nicht abzudrücken. Deswegen bin ich nicht Offizier geworden.
Sie haben vorhin von Gerechtigkeit gesprochen. Ist die Rettung der CS gerecht?
Mir fehlt das Wissen, um die Bankenkrise zu beurteilen. Ich denke aber an die Menschen, die nun ihre Arbeit verlieren werden. Und mich treibt die Frage um: Was ist in unserem Land systemrelevant? Wer hält die Schweiz am Laufen?
An wen denken Sie?
Während der Corona-Pandemie erhielten die Beschäftigten im Spital Beifall. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass sich die Arbeitsbedingungen seitdem deutlich gebessert haben. Als Seelsorger bin ich oft im Spital und bekomme mit, wie kräfteraubend der Job sein kann. Das ist körperlich anstrengend, aber auch emotional. Wenn ein Kind stirbt, können die Mitarbeitenden das nicht einfach wegstecken. Die nehmen die Belastung mit nach Hause. Gerecht wäre, wenn die Politik sich nicht nur für schwache Banken, sondern für alle Schwachen stärker engagieren würde.
Die katholische Kirche hat einen grossen Reformstau. Stört es Sie, dass der Papst nicht vorwärtsmacht?
Ich finde, der Papst macht vorwärts.
Aber er entscheidet nichts.
Wir müssen zwischen den Zeilen lesen, um den Papst zu verstehen. Der Papst hat einen synodalen Prozess angestossen. Auf einmal diskutiert die Kirche auf der ganzen Welt über Themen, die vor seinem Pontifikat noch weitgehend tabu waren. Die Kirche ist in Bewegung, wird sich verändern, entwickelt sich weiter.
Würden Sie einen Brief an den Papst unterschreiben mit der Bitte, auch verheiratete Männer zu Priestern zu weihen? Oder Frauen zu Priesterinnen?
Ich würde einen solchen Brief nicht nicht unterschreiben.
Warum geben Sie kein klares Ja?
Ich fange als Weihbischof erst an (lacht), da kann ich doch nicht einfach losstürmen!
Warum nicht? Viele Menschen in der Kirche warten darauf, dass in der Kirche endlich mal wieder jemand stürmt und Tore schiesst.
Als Bischof halte ich mich an die Vorgaben der Kirche. Trotzdem habe ich meine Ansichten, stehe dazu und versuche meine Meinung überzeugend einzubringen. Die Kirche kannte jahrhundertelang keinen Pflichtzölibat, der kam erst später. Der Pflichtzölibat könnte abgeschafft werden.
Leiden Sie unter dem Zölibat?
Ich weiss, dass die zölibatäre Lebensform nicht immer leicht zu gestalten ist. Allerdings bin ich damit durch all die vielen Jahre als Priester gut zurechtgekommen.
Was sagen Sie zur Frauenfrage?
Zum Ostermorgen gehört Maria von Magdala. Der erste Mensch, der von der Auferstehung Jesu erfährt, ist eine Frau. Sie hat diese Botschaft zu den Aposteln gebracht. Das ist ein Statement, auf das die heutige Kirche sehr gut hören muss. Bei Jesus waren die Frauen viel präsenter als später in der Kirchengeschichte. Ich kann mir das historisch nur durch den Einfluss einer patriarchalen Gesellschaft erklären.
Behandelt die katholische Kirche Frauen wie Menschen zweiter Klasse?
So würde ich das nicht sagen, kann aber solche Aussagen verstehen. Es ist offensichtlich, dass die Frauen in unserer Kirche nicht dieselben Möglichkeiten haben, ihre Berufung zu leben wie die Männer. Im Bistum Basel gibt es Frauen auf allen Führungsebenen – auch in der Bistumsleitung.
Am Ende entscheidet aber der Bischof, nicht eine Frau.
Es reicht nicht, nur über den Zölibat zu diskutieren oder darüber, ob Frauen Diakoninnen werden dürfen. Wir leben im 21. Jahrhundert. Frauen, die eine Berufung haben, sollten geweiht werden können.
Sind Sie nur für die Priesterinnenweihe? Oder auch für Bischöfinnen und Päpstinnen?
Alles, was Frauen diskriminiert, ist ungerecht. Von daher macht es wenig Sinn, nur über Diakoninnen zu sprechen.
Die katholische Kirche tickt in vielen Teilen noch vormodern. Sie werden keine Päpstin erleben!
Das glaube ich auch nicht. Aber, wer weiss …? Fangen wir im Kleinen an. Mich belastet es zu sehen, wie viele top ausgebildete Theologinnen wir im Bistum Basel haben. Wir dürfen sie aber nicht überall einsetzen, weil die Weihe fehlt. Warten wir ab, was der synodale Prozess bringt. So wie jetzt kanns nicht weitergehen.
Ein anderes Reformthema betrifft LGBTQ. Haben Sie schon mal ein schwules oder lesbisches Paar gesegnet?
Nein. Mich hat bislang niemand gefragt.
Würden Sie es machen?
Wir können uns als Kirche doch nur freuen, wenn ein Paar sich liebt, Verantwortung füreinander übernimmt und sagt: Wir haben das religiöse Bedürfnis, unsere Liebe segnen zu lassen. Insofern würde ich es wohl tun. Ich sehe kein theologisches Argument, das dagegenspricht. Eine ganze Reihe anderer Bischöfe in Europa ist zum selben Schluss gekommen. Das zeigt mir, dass ich mit meiner Meinung nicht allein bin – auch in unserem Bistum nicht.
Wir haben Sie gebeten, Menschen zu einem modernen Abendmahl einzuladen. Für wen haben Sie sich entschieden?
Ich habe in den Roten Turm nach Baden eingeladen. Das Restaurant ist ein Sozialprojekt, in dem beeinträchtigte Menschen eine Chance erhalten. Ich stelle mir ein modernes Abendmahl so vor: Menschen verschiedener Herkunft, mit verschiedenen Aufgaben kommen zusammen. Vom Baby, das ich getauft habe, bis zum Grosi aus meiner Pfarrei. Ein Abendmahl besteht aus menschlicher Vielfalt am Tisch des Herrn.