«Nichts als die Wahrheit»
Georg Gänswein kämpft wie ein Löwe für Benedikt XVI.

Er galt als schönster Altenpfleger Roms – und ist derzeit arbeitslos: Erzbischof Georg Gänswein, der langjährige Privatsekretär von Papst Benedikt XVI. Sein neues Buch «Nichts als die Wahrheit» enthält Tratsch und Theologie.
Publiziert: 12.03.2023 um 11:05 Uhr
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Erzbischof Georg Gänswein war Privatsekretär von Papst Benedikt XVI.
Foto: Keystone
Raphael Rauch*

«Sie können auf mich zählen in vita et in morte», also «im Leben wie im Tod». Das versprach Georg Gänswein seinem Förderer Joseph Ratzinger, als dieser 2005 Papst wurde. Und an dieses Versprechen hält er sich nach wie vor.

Am 31. Dezember 2022 ist Benedikt XVI. um 9.34 Uhr im Alter von 95 Jahren gestorben. Seitdem hat der Kampf um Deutungshoheit begonnen. Don Giorgio, wie Gänswein im Vatikan heisst, kämpft wie ein Löwe für seinen Ex-Chef.

Das Buch «Nichts als die Wahrheit» gibt Einblick in die Arbeit eines umstrittenen Papstes und seines willigen Dieners. Zu lesen ist, wie Gänswein als Jugendlicher Rockmusik hörte und lange, lockige Haare hatte. Dass Benedikt XVI. zum Frühstück Zitronentee, Brot mit Marmelade und Joghurt zu sich nahm – und niemals Verdauungsprobleme hatte. Wollten wir das wirklich wissen?

Rom mit Missbrauchskomplex überfordert

Laut Gänswein hatte Benedikt XVI. kein Handy, dafür aber ein eigenes Festnetztelefon. An diesen Apparat ging nur Benedikt XVI. ran. Die Nummer war nur wenigen Menschen bekannt.

Benedikt XVI. wird vorgeworfen, zu wenig gegen den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche getan zu haben. Dem widerspricht Gänswein entschieden. Er stellt seinen Chef als ersten Papst dar, der auf seinen Auslandsreisen Missbrauchsopfer traf.

Gleichwohl räumt Gänswein ein, Rom sei vom Missbrauchskomplex überfordert gewesen. Was er aber nicht schreibt: Sein Chef hat aktiv zur Vertuschung beigetragen. So wies Joseph Ratzinger 2001 die Bischöfe auf der ganzen Welt an, dass Missbrauchsfälle nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollten, sondern nach Rom gemeldet werden müssen. Was gut gemeint war, nämlich von Rom aus hart durchzugreifen, begünstigte jedoch Vertuschung.

Gänswein verteidigt Benedikts Fauxpas

Gänswein verteidigt in seinem Buch die vielen Fauxpas in Benedikts Amtszeit. Etwa die Entscheidung, den Holocaust-Leugner Richard Williamson von den traditionalistischen Piusbrüdern wieder in die katholische Kirche aufzunehmen. Der Fall hat 2009 auch die Schweiz bewegt, schliesslich haben die Piusbrüder ihre weltweite Zentrale in Menzingen ZG. Gänswein beteuert, er und sein Chef seien falsch informiert gewesen. Es habe geheissen, Williamson sei an Krebs erkrankt und werde bald sterben. Gänswein spricht von einer «falsch verstandenen Milde».

Benedikts Nachfolger Papst Franziskus steht unter starkem Druck. Konservative Kreise dürften Gänsweins Buch als Aufforderung lesen, den Druck zu erhöhen. Gänsweins Beteuerung, er sei Papst Franziskus gegenüber loyal, dürfte da nicht helfen. «Sie können auf mich zählen in vita et in morte» – diese Formel hat er nur Benedikt XVI. versprochen, nicht Franziskus.

*Raphael Rauch ist Redaktionsleiter von kath.ch. Er wechselt Ende März zum SonntagsBlick.

**Georg Gänsweins Buch «Nichts als die Wahrheit» ist im Herder-Verlag erschienen.

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