Sie ist unbequem und rüttelt an Grundfesten. Karin Iten (52) wurde eingestellt, um der katholischen Kirche auf die Finger zu schauen. Am Mittwochabend nahm sie an einem Podium in einem Kino in Chur GR teil, anlässlich des neuen Dokumentarfilms «Unser Vater».
Blick: Als Sie das erste Mal vom Film «Unser Vater» hörten – von der Geschichte vom Priester Toni Ebnöther und seinen vielen Kindern – was dachten Sie?
Karin Iten: Der Film macht betroffen. Er zeigt sehr drastisch die Schattenseiten einer kirchlichen Sexualmoral, die ganz viel Leid verursacht. Diese kirchliche Vertuschungskultur deckte den Machtmissbrauch durch Toni Ebnöther – und tabuisierte, dass Priester überhaupt sexuelle Wesen sind. Dramatisch am Fall Ebnöther ist zudem, dass er kirchlich nie zur Verantwortung gezogen wurde. Es ist aber nicht überraschend, dass das System Kirche solche Fälle produziert. Die Kirche ist für Leidenswege von ganzen Familien mitverantwortlich.
Ist das ein Extrembeispiel oder gibt es solche Geschichten öfter als man denkt?
Die Kirche muss endlich dazu stehen: Es gibt viele Priester, die nicht auf Sex verzichten können oder über längere Zeit ein Doppelleben führen. Der Schritt zur Ausübung von sexualisierter Gewalt, wie durch Toni Ebnöther, machen gemäss den meisten Aufarbeitungsstudien rund vier Prozent der Priester. Das ist sehr viel im Vergleich zur übrigen Gesellschaft – und zeigt, dass es leider keine Einzelfälle sind. Missbrauch hat in der katholischen Kirche System.
Inwiefern ist das eine Geschichte der Schweiz aus den 50er, 60er Jahren? Anders: Gibt es noch heute schwarze Schafe ?
Es war nie richtig, Kinder zu verschweigen und als Vater jegliche Verantwortung dafür zu negieren – auch nicht in den 50er Jahren. Es war auch nie legal, zu vergewaltigen. Da gibt es keine «Zeitgeist»-Ausreden. Das war auch damals nicht die ethische Richtschnur, schon gar nicht für Vertreter der Kirche. Und ja, Gewalt passiert auch heute.
Wie würde sich das Bistum Chur heute verhalten bei einem Toni Ebnöther?
Wenn Meldungen zu Missbrauch wie eine Vergewaltigung eingehen, dann gibt es Richtlinien, unabhängige Fachstellen bzw. die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten. Ohne Hinweise auf Gewalt sieht das anders aus: Wenn ein Priester eine Partnerin oder einen Partner hat, dann wird auch heute geschwiegen. Hauptsache, die Beziehung wird nicht öffentlich und die Kirche kann den Schein und die Heuchelei aufrechterhalten. Und wenn sie öffentlich wird, verliert der Priester seinen Job. Wünschenswert wäre hingegen, dass diese Männer dazu stehen können und ihre berufliche Existenz trotzdem gesichert bleibt.
Sie sprechen das Zölibat an.
Wer sich in jungen Jahren für den Zölibat entscheidet, kann nicht überblicken, was es bedeutet für ein ganzes Leben. So starr funktioniert das Leben nicht. Viele zerbrechen daran. Zudem lässt sich kaum mehr Personal finden, das sich bevormunden lässt im intimsten Bereich. Zu Recht. Und: Das Selektionskriterium Zölibat und Mann zieht auch die falschen – teils unreife – Menschen an, was wiederum Risiken erhöht. Es grenzt an Ignoranz, daran festzuhalten. Auch das Ignorieren von Frauen ist ein regelrechter Blindflug in die Sackgasse.
Karin Iten (52) ist Präventionsbeauftragte im Bistum Chur und arbeitet zudem bei der Fachstelle für Sektenfragen Infosekta. Sie studierte Umweltnaturwissenschaften an der ETH und war lange in der Gewaltprävention tätig, unter anderem als Geschäftsführerin der Fachstelle Limita zur Prävention sexueller Ausbeutung. Iten ist Mutter zweier Söhne und lebt am Walensee.
Karin Iten (52) ist Präventionsbeauftragte im Bistum Chur und arbeitet zudem bei der Fachstelle für Sektenfragen Infosekta. Sie studierte Umweltnaturwissenschaften an der ETH und war lange in der Gewaltprävention tätig, unter anderem als Geschäftsführerin der Fachstelle Limita zur Prävention sexueller Ausbeutung. Iten ist Mutter zweier Söhne und lebt am Walensee.
Was ist Ihre Aufgabe als Präventionsbeauftragte?
Wir bauen vorbeugend Schwellen ein, damit Übergriffe in der Kirche erschwert werden. Wir thematisieren Risiken, reflektieren Machtpositionen und sensibilisieren mit Schulungen und einem Verhaltenskodex. Aktuell sind wir daran, die Meldestrukturen zu verbessern.
Den Verhaltenskodex haben Sie vor einem Jahr eingeführt. Wie zufrieden sind Sie?
Der Kodex hat viele Gespräche und Prozesse ausgelöst – und genau mit diesem ehrlichen Dialog kann sich eine Kultur rund um Macht verändern. Der Kodex ist ein hervorragendes Vehikel für Auseinandersetzung, weil er konkrete Reibungsfläche bietet. Insofern bin ich ganz zufrieden. Und: Er spült sozusagen auch Defizite an die Oberfläche.
Was muss besser laufen?
Die Führungscrew hat das Instrument enthusiastisch unterschrieben. Nun muss die Führung ebenso beherzt hinstehen, wenn Widerstand kommt. Ich meine nicht nur den Bischof, sondern insbesondere die Generalvikare oder den Bischofsrat. Die breite Basis der katholischen Kirche ist im Boot, aber es ist klar, dass der Verhaltesnkodex nicht allen gefällt. Das Personalmanagement hat viel Luft nach oben, es braucht endlich Transparenz in den kirchlichen Personalabteilungen. Da sind teils Kirchenmänner tätig, die fachlich gar nicht dafür geeignet sind.
Wer stellt sich quer?
Die fundamentalistischen Gruppierungen. Jene, die gar nichts ändern wollen an der katholischen Kirche, weil sie den Machtverlust der Kleriker verhindern wollen. Jene, die immer noch sagen: Die Kirche ist als Gesamtkonstrukt heilig und perfekt und es sind nur einzelne schwarze Schafe darin. Stattdessen wäre wichtig, einzugestehen, dass auch die Kirche in vielem scheitert und sich irrt – als menschliches Konstrukt - mit göttlichem Funken - vielleicht.
Ein katholischer Priester, vier Mütter und sechs Geschwister. Der Dokumentarfilm «Unser Vater» von Miklós Gimes beleuchtet eine Familiengeschichte aus den 50er- und 60er-Jahren der Schweiz, die ihre Protagonisten bis heute belastet. Im Film brechen die Kinder des Priesters und heute längst Erwachsenen das fatale Schweigen. Sie erzählen von ihrer vaterlosen Kindheit, von ihren tapferen Müttern und fragen «Warum hat man nie geredet?». Ab 6. April in diversen Schweizer Kinos.
Mehr Infos auf www.unservater.ch
Ein katholischer Priester, vier Mütter und sechs Geschwister. Der Dokumentarfilm «Unser Vater» von Miklós Gimes beleuchtet eine Familiengeschichte aus den 50er- und 60er-Jahren der Schweiz, die ihre Protagonisten bis heute belastet. Im Film brechen die Kinder des Priesters und heute längst Erwachsenen das fatale Schweigen. Sie erzählen von ihrer vaterlosen Kindheit, von ihren tapferen Müttern und fragen «Warum hat man nie geredet?». Ab 6. April in diversen Schweizer Kinos.
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