Serben in der Schweiz über Massenproteste
«Ich finde es mega geil, dass Vucic endlich unter Druck kommt»

Landesweite Proteste setzen den serbischen Präsident Vucic unter Druck. Auslandsserben in der Schweiz unterstützen die Bewegung und hoffen auf politischen Wandel in ihrer Heimat.
Publiziert: 20:22 Uhr
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Aktualisiert: 21:27 Uhr
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Unternehmerin Eli Simic (36) hat serbische Wurzeln. Sie unterstützt die aktuellen Proteste.
Foto: zVg

Auf einen Blick

  • Proteste in Serbien: Hunderttausende fordern Veränderung und kritisieren Korruption
  • Schweizer mit serbischen Wurzeln berichten über Einschüchterung und Wahlmanipulation
  • Präsident Vucic regiert seit acht Jahren, Ministerpräsident trat zurück
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Helena GrafReporterin

Als am Sonntag Hunderttausende Menschen in ganz Serbien auf die Strasse gehen, die Durchfahrt blockieren, musizieren und Plakate in die Höhe halten, ist Sascha Mikic (30) zu Tränen gerührt. Die Schweizerin mit serbischen Wurzeln verfolgt die Proteste in der Heimat ihrer Eltern seit letztem Dezember. «Ich habe schon bei früheren Demonstrationen gedacht: Da braut sich etwas zusammen. Und dann ist doch nichts passiert. Aber diesmal ist es anders. Weil gefühlt alle mitmachen.»

Mikic ist in der Schweiz geboren, studiert aktuell in den Niederlanden. Ihr Vater Dejan Mikic (63) arbeitet in Zürich, er war als 6-Jähriger in die Schweiz gekommen, als Sohn eines Arztes. Er sagt: «Ich finde es grossartig, dass die jungen Leute eine solche Energie und Willen entwickelt haben.»

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«An euren Händen klebt Blut»: Die rote Hand ist ein Kennzeichen der Anti-Korruptions-Proteste in Serbien.
Foto: AFP

Serbische Studentinnen und Studenten haben die aktuelle Protestwelle angerissen. Als Reaktion auf einen tödlichen Vorfall am 1. November 2024: Das Vordach am Bahnhof der nordserbischen Stadt Novi Sad stürzte an diesem Tag ein. 15 Menschen kamen ums Leben. Schlampige Renovierungsarbeiten sollen der Grund gewesen sein.

«Musst das Land bescheissen, um zu überleben»

Eli Simic (36), Ex-Bachelorette und Unternehmerin, besucht Serbien regelmässig. Ihre Familie lebt dort. Die Korruption sei allgegenwärtig, beschreibt sie. «Wenn du beispielsweise eine kleine Firma hast, musst du das Land bescheissen, um zu überleben. Weil Vucic immer einen Teil des Geldes einsackt und es für dich nicht mehr reicht», sagt sie.

Die Forderung der Demonstrierenden ist zwar nicht direkt ein Systemwechsel. Doch die schiere Masse an Menschen, die auf der Strasse ihre Unzufriedenheit äussern, haben politische Sprengkraft. «Ich finde es ehrlich gesagt mega geil, dass Präsident Vucic endlich unter Druck kommt», sagt Simic.

«Genötigt, mit Präsidenten Selfies zu machen»

Aleksandar Vucic (54) regiert Serbien seit bald acht Jahren als Präsident. Er betreibt einen regelrechten Personenkult, schart die Medien um sich, verbreitet Propaganda. Mina J.* (33), Sozialpädagogin und Schweizerin mit serbischen Wurzeln, erzählt: «Ich habe viele Verwandte und Bekannte, die in den letzten Jahren eingeschüchtert wurden. Zum Beispiel sind sie gezwungen, sich mit Vucic fotografieren zu lassen, wenn er ihre Gemeinde besucht. Ansonsten würden sie ihre Arbeitsstellen verlieren. Einige haben dies bereits erlebt.»

Umso mehr bewundere sie den Mut der Studierenden, die Woche für Woche zu Strassenblockaden aufrufen. «Sie sind so wahnsinnig gut organisiert. Das macht mich echt stolz und ich bin überzeugt, dass sie nicht locker lassen, nicht aufgeben werden. Jetzt muss sich etwas ändern!»

Vergangene Woche trat der Ministerpräsident von Serbien zurück. Vucic verkündete, man werde die Möglichkeit von Neuwahlen abwägen. Sascha Mikic hält davon wenig. «Ich habe selbst einmal in Serbien gewählt. Während des ganzen Wahltags riefen uns alle Viertelstunde Vertreter von Vucics Partei an und fragten, ob und wen wir gewählt hätten», erzählt sie. «Ich glaube, sie wollen so ausfindig machen, wer nicht wählen geht, um dann diese Stimme zu klauen.»

«Sehen Vucic als Höseler»

Ihr Vater Dejan Mikic betont, dass Vucic durchaus Unterstützer habe. Er habe das Land in einigen Dingen auch weitergebracht. «Es gibt auch Arbeiter, die aus der aktuellen Regierung einen Nutzen ziehen», erklärt der 63-jährige Ethnologe. Ausserdem präsentiere sich Vucic nach innen als starker Mann, der sich von anderen Ländern nicht herum diktieren lasse. «Aber das ist nur Show. Regierungschefs in Europa oder den USA sehen ihn eher als Höseler», so Mikic.

Ob die Proteste den Präsidenten wirklich aus dem Amt befördern, da sei er noch unsicher. Seine Tochter sagt indes: «Ich habe grosse Hoffnung, dass sich diesmal etwas ändern wird.»

* Name der Redaktion bekannt

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