Auf einen Blick
- Eine Protestbewegung in Serbien fordert tiefgreifende Reformen
- Die Regierung in Belgrad weist Kritik zurück und überwacht Aktivisten und Journalisten
- Die Schweiz hat Serbien IMSI-Catcher zur Handy-Überwachung geliefert
Die politische Krise in Serbien spitzt sich zu. Am Dienstag erklärte Ministerpräsident Milos Vucevic seinen Rücktritt. Die Protestbewegung wird das kaum zufriedenstellen. Die Oppositionellen wollen längst mehr: Sie fordern tiefgreifende Reformen – und hoffen auf den Sturz der russlandnahen Regierung.
Präsident Aleksandar Vucic klammert sich an die Macht. Und greift zu höchst umstrittenen Methoden. Ende 2024 machten die Menschenrechtsorganisation Amnesty International und das Recherche-Netzwerk BIRN publik, dass die Regierung Aktivistinnen und Journalisten überwachen lässt. Laut einer datenforensischen Analyse installierten die serbischen Behörden illegal Spyware auf Dutzenden Handys von Regierungskritikern.
Spionagetechnik für zwei Millionen Franken
Amnesty International spricht von einem systematischen Vorgehen, das wahrscheinlich im grossen Stil gegen die Zivilgesellschaft eingesetzt wurde. Die Spähprogramme saugten Fotos und Textnachrichten ab und zapften Kameras und Mikrofone an. Das serbische Innenministerium und der Geheimdienst wiesen die Vorwürfe als «unsinnig» und «falsch» zurück.
Recherchen zeigen jetzt, dass die serbische Regierung für ihre Spionage-Aktionen auch auf Schweizer Technik zurückgreifen kann. 2023 nickte der Bund eine Lieferung von sogenannten IMSI-Catchern im Wert von knapp zwei Millionen Franken an Belgrad ab. Mit den Hightechgeräten können Handys geortet, angezapft und abgehört werden.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) bestätigt die Lieferung. Laut Sprecher Fabian Maienfisch wurden die Überwachungsgeräte an staatliche Stellen in Serbien exportiert. An wen genau, sagt er nicht. Es dürfte sich aber um das Innenministerium oder den Geheimdienst BIA handeln. Unklar bleibt, welche Schweizer Firma den Deal abgewickelt hat.
Der Verkauf von Schweizer Überwachungstechnik an den serbischen Staat ist heikel. Die Verordnung über die Ausfuhr und Vermittlung von Gütern zur Internet- und Mobilfunküberwachung besagt, dass eine Lieferung verboten wird, wenn Grund zur Annahme besteht, dass die Güter im Zielland zur Repression verwendet werden.
Heute würde Lieferung wohl verweigert
Für den Entscheid über den Export der IMSI-Catcher zog das Seco das Aussendepartement EDA, das Verteidigungsdepartement VBS und den Nachrichtendienst NDB bei. Dann gab der Bund grünes Licht. Seco-Sprecher Maienfisch: «Im Rahmen der Einzelfallprüfung gab es keine ausreichenden Hinweise dafür, dass die Güter vom Endempfänger zur Repression verwendet werden.»
Heute würde der Export kaum mehr bewilligt. Zu klar sind mittlerweile die Hinweise darauf, dass die serbischen Behörden Regierungskritiker mit Spyware überwacht haben. Aktivistinnen und Journalisten wurden von der Polizei zu sogenannten «informativen» Gesprächen vorgeladen, eine Praxis aus kommunistischen Zeiten, als Oppositionelle ohne klaren Anlass verhört wurden. Die Betroffenen mussten ihre Handys abgeben. Während der Gespräche installierte die Polizei dann Spähsoftware auf den Geräten. Laut dem Bericht von Amnesty International kam das israelische Produkt Pegasus und die von Serbien entwickelte Überwachungssoftware Novispy zum Einsatz.
Präsident Vucic regiert zunehmend mit autoritären Methoden. Medien, Justiz und Verwaltung sind zum Grossteil in Händen von seinen Gefolgsleuten. Doch die vor drei Monaten losgetretene Protestwelle bringt ihn jetzt in Bedrängnis. Das Land erlebt die grössten Demonstrationen seit dem Aufstand gegen Slobodan Milosevic im Jahr 2000.
Angefangen hat alles mit einem Unglück: Am 1. November 2023 stürzte in der Stadt Novi Sad ein Bahnhofsvordach ein. 15 Menschen starben. Die Katastrophe wurde zum Symbol für Korruption und unkontrollierte Macht. Renoviert hatte den Bahnhof von Novi Sad eine chinesische Baufirma. Kritiker warfen den Behörden Schlamperei und schmutzigen Deals vor.
Landesweiter Generalstreik
Die Studierendenproteste erfassten bald ganz Serbien. Am Freitag vor einer Woche gipfelten sie in einem landesweiten Generalstreik. Lehrerinnen, Anwälte, Bauern – breite Gesellschaftsschichten schlossen sich an, blockierten Strassen und skandierten: «An euren Händen klebt Blut!» Präsident Vucic, der sein Land seit 2012 in verschiedenen Funktionen regiert, unterstellte den Demonstranten, von ausländischen Geheimdiensten gesteuert zu sein.
Mit dem Rücktritt von Ministerpräsident Milos Vucevic hofft die serbische Regierung, die Opposition besänftigen zu können. «Es ist meine bedingungslose Entscheidung, zurückzutreten», sagte er auf einer Medienkonferenz. Vucevic begründete seinen Schritt mit einem Vorfall am Montagabend in Novi Sad, wo ein Schlägertrupp der regierenden Serbischen Fortschrittspartei mit Baseballschlägern mehrere Studentinnen und Studenten verletzte.
Präsident Vucic rückt in den Fokus
Ob das Bauernopfer hilft? Nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten gibt es nur noch einen, dem die Protestbewegung Schuld an den Missständen im Land geben kann: Aleksandar Vucic.