Yvonne Brütter verliebt sich auf einer Skitour ins Dorf Adelboden. So sehr, dass sie beschliesst, hinzuziehen. Für immer, wie sie glaubt. Weniger Stadtlärm, mehr Ruhe. Das Dorf liegt mitten in der Berglandschaft des Berner Oberlands. Ein Sehnsuchtsort für die ski- und wanderbegeisterte Frau.
Im Sommer 2022 mietet Yvonne Brütter, die tatsächlich anders heisst, eine 3,5-Zimmer-Wohnung mit Blick auf den Lohner. Sie habe die Wohnung nur möbliert besichtigt, und sie habe ihr gefallen, erinnert sich die heute 66-Jährige. Vor über 30 Jahren hatte sie schon einmal in Adelboden gelebt und als Skilehrerin gearbeitet. So kannte sie den Dorfteil bereits, in dem ihre neue Wohnung liegt. Eine gute Lage.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Wenige Tage nach ihrem Einzug bemerkt Brütter diverse Mängel an der Wohnung. Sie bittet Kurt Reichelt, den Eigentümer, diese zu beheben. Auch sein Name ist geändert.
Das war der Anfang vom Ende von Yvonne Brütters Liebesbeziehung mit Adelboden.
«Aus dem Haus geschmissen»
Im Januar 2025 stapft die Frau aus dem Unterland durch den frischen Schnee, der seit den frühen Morgenstunden niederrieselt. Der Nebel hängt tief. Nach zweieinhalb Jahren im Bergdorf ist Brütter bereits wieder weggezogen. Unfreiwillig. Sie sagt, dass sie vertrieben worden sei. Heute will sie der Journalistin zeigen, wo sich ihr «Unglück» abgespielt hat. Nach einem zwanzigminütigen Spaziergang zeigt Brütter auf ein braunes Holzhaus. «Hier wurde ich rausgeschmissen.»
Das Bergdorf sei ein Filz. «Es gibt Leute, die in Adelboden das Sagen haben und die dafür sorgen, dass Auswärtige wieder gehen müssen, wenn sie sich nicht alles gefallen lassen.» Yvonne Brütter ist eine ruhige Frau, sie spricht langsam und bedächtig. Ob sie nicht befürchte, bei ihrer kurzen Rückkehr auf jemanden zu treffen, der nicht gut auf sie zu sprechen ist? «Pah!», sagt Brütter. «Ich kenne meine Rechte und scheue keine Konfrontation.» Für das anschliessende Gespräch möchte sie aber trotzdem lieber nach Frutigen hinunter. «In Adelboden haben viele lange Ohren.»
Was also ist passiert? Als Brütter im Sommer 2022 einzieht, hätten weder der Kühlschrank noch der Backofen in der neu gemieteten Wohnung funktioniert. Auch der Geschirrspüler sei mitten in einem Waschgang stecken geblieben, sodass die Tür nicht mehr geöffnet werden konnte, sagt sie. Der Handwerker habe ihr gesagt, dass das Gerät wohl schon seit längerem defekt sein müsse; der Boden war nass.
Yvonne Brütter erstellt eine Liste, in der sie fein säuberlich alle Mängel notiert. «Aus Dampfabzugshaube fallen jede Nacht irgendwelche Fragmente», steht da unter anderem geschrieben. Und: «Ich bitte um einen Spritzschutz vom Schüttstein bis zum Kühlschrank. Und ich kämpfe mit einer ganzen Kolonie von Silberfischen.»
Ihr Vermieter soll die Handwerker nur widerwillig aufgeboten haben. «Die Reparaturen haben sich über Monate hingezogen, so dass ich meinen Alltag nicht frei gestalten konnte», sagt Brütter. Sie habe wohl jeden erdenklichen Handwerker von Adelboden in der Wohnung gehabt, und trotzdem seien nicht alle Mängel behoben worden.
Auf Schlichtungsstelle vertraut
Ein inakzeptabler Zustand für die Frau, die sagt, dass sie sich nicht alles gefallen lasse. Sie wendet sich im Februar 2023 an die Schlichtungsbehörde Berner Oberland. In ihrem Schreiben fordert Brütter unter anderem, dass das Ungeziefer von einem Fachmann dauerhaft entfernt werden müsse. Im April 2023 findet ein Treffen statt. «Die Vorsitzende der Schlichtungsbehörde sprach ein Machtwort, und ich nahm in meiner Naivität an, dass Reichelt alles verstanden hat und die Wohnung komplett in Ordnung bringt.»
Doch dem ist nicht so. Ende Mai 2023 erhält Brütter stattdessen die Kündigung ihres Mietvertrags. «Ich war schockiert.» Mittlerweile sitzt sie in einem Café in Frutigen und hält eine Tasse Tee in der Hand. Sie spricht noch immer ruhig und bedacht, mustert aber misstrauisch alle Gäste, die neu ins Café kommen. «Ich bin mir sicher, dass mir gekündigt wurde, weil ich unbequem bin und mich gewehrt habe.»
Yvonne Brütter ist eine schmale Person, ihre langen Haare hat sie zum Zopf gebunden. Noch während sie spricht, zieht sie einen dicken Ordner aus ihrem schwarzen Rucksack. Sie blättert in den Papieren. Zu sehen sind ausgedruckte Fotos, die die Mängel der Wohnung dokumentieren, Wikipedia-Einträge über Bücherskorpione, Mailverläufe mit ihrem ehemaligen Vermieter.
Gewisse Einheimische in Adelboden spannten zusammen, damit es Zugezogene nicht leicht hätten, da ist sich Brütter sicher. So sei ihr schon kurz nach ihrem Umzug ins Dorf von verschiedenen Seiten gesagt worden, dass sie wohl irgendwann ihre Miete nicht mehr bezahlen könne. Oder dass am Ende die Gemeinde für ihr Essen aufkommen müsse. «Ich bin EL-Bezügerin, hatte aber nie Probleme, für die Dinge zu bezahlen, die ich brauche. Woher wussten die Leute überhaupt, dass ich Ergänzungsleistungen erhalte?»
Dazu passt diese Episode: Eines Tages erhält Brütter eine Einladung zu einem Jahrgangstreffen. Das verwundert sie. Denn bei ihrer Anmeldung in Adelboden hat sie eine Datensperrung verlangt, um sich vor ihrem Ex-Mann zu schützen. Woher wussten die Absender, wo sie jetzt wohnt? Auch das lässt die Frau nicht auf sich bewenden, sondern reicht Anzeige ein. Schliesslich erklärt die Berner Staatsanwaltschaft den damaligen Leiter der Einwohnerkontrolle per Strafbefehl für schuldig: Eventualvorsätzliche Verletzung des Amtsgeheimnisses – er teilte vertrauliche Informationen mit anderen.
«Es hat sich für mich nicht sicher angefühlt, wenn meine privaten Daten im ganzen Dorf herumgereicht werden», sagt Brütter. Der betroffene Gemeindeangestellte ist inzwischen pensioniert. Er war trotz diversen Versuchen des Beobachters nicht für eine Stellungnahme erreichbar.
Drohungen im Briefkasten
Und noch etwas nährt Yvonne Brütters Argwohn gegenüber ihrer neuen Wahlheimat. Auch Lena Fischer, ihre damalige Nachbarin, macht mit den Adelbodnern unliebsame Erfahrungen. Und auch bei Fischer, deren Name ebenfalls geändert ist, gipfeln sie in einer plötzlichen Kündigung ihrer Wohnung, nachdem es öfters mal zu lauten Auseinandersetzungen zwischen ihr und ihrem Partner gekommen ist. Die Vermieterin des Paares ist die Schwester von Kurt Reichelt.
Während Lena Fischer und ihr Partner sich also widerwillig auf die Suche nach einer neuen Wohnung in Adelboden machen, landen in ihrem Briefkasten anonyme Drohbriefe. «Seit Ihr noch nicht verschwunden. Es wird langsam lästig mit Euch, und dem Hund. Würde gehen, wenn möglich aus Adelboden», steht auf einer Postkarte in fehlerhaftem Deutsch. Und: «Auf den Hund gut aufpassen.» Absender sind «Anwohner» jener Strasse, an der sowohl Brütter als auch Fischer gelebt haben. Auf einer anderen Karte heisst es: «Nichts gelehrnt. Jetzt muss halt euer Hund daran glauben! Selber Schuld! Ist ja klar, einer säuft und die andere ist psychisch daneben. Euch sollte man in eine Klinik einweisen.»
Kopien dieser Postkarten liegen dem Beobachter vor. Der Hund des Paares ist mittlerweile verstorben, die Todesursache wurde nie geklärt. Lena Fischer reichte wegen Drohung und Beschimpfung eine Anzeige gegen ihre ehemalige Vermieterin ein. Reichelts Schwester wurde daraufhin schuldig gesprochen.
Auch für Yvonne Brütter gestaltet sich die Suche nach einer neuen Bleibe schwierig. Nach ihrem «Rausschmiss» aus der ersten Wohnung möchte sie Adelboden nicht verlassen. Trotz allem. «Die Lage des Dorfs und die Berge darum herum geben einem schon sehr viel.» Sie bewirbt sich auf 146 Inserate. Nicht alle Wohnungen sind direkt in Adelboden, «aber das wäre meine Präferenz gewesen». Oft kommt gar keine Rückmeldung. «Ich wunderte mich. Ich habe keine Betreibungen und ein einwandfreies Leumundszeugnis.»
Aus Zusage wird Absage
Schliesslich erhält sie doch noch eine mündliche Zusage für eine Wohnung im Dorf. Doch während sie noch auf die schriftliche Bestätigung wartet, kommt aus heiterem Himmel eine E-Mail des Besitzers: «Leider müssen wir Ihnen heute absagen», steht darin geschrieben. «Unsere nachträglichen Recherchen ergaben, dass es bei Ihnen in der Vergangenheit zu problematischen Mietverhältnissen kam.»
Im Café in Frutigen schüttelt Yvonne Brütter den Kopf, wieder mustert sie die Gäste, die zur Tür hereinkommen. Sie ist überzeugt, dass ihr früherer Vermieter sie angeschwärzt und so für den Rückzieher gesorgt hat. Sie reicht Anzeige wegen Verleumdung ein, doch die Staatsanwaltschaft Bern eröffnet keine Untersuchung. Brütter ist konsterniert: «Es ist tragisch, dass manche Leute offenbar machen können, was sie wollen, und damit auch noch durchkommen.»
Kurt Reichelt, ihr ehemaliger Vermieter, sagt auf Anfrage des Beobachters, dass der Mietvertrag damals ordentlich gekündigt worden sei. «Bei einem Erstreckungsbegehren durch Frau Brütter bin ich ihr entgegengekommen. Wir haben uns auf einen späteren Auszugstermin geeinigt.» Leider habe Brütter die Wohnung auf das vereinbarte Datum hin nicht geräumt. Als sie die Wohnung schliesslich doch verlassen habe, sei keine Übergabe möglich gewesen, und die Wohnung sei auch nicht geputzt worden. «Auf den Kosten für die verschiedenen Verfahren, für Reinigung und Instandhaltung bin ich bis jetzt sitzen geblieben.»
«Von sehr verlässlicher Seite»
Der Mann, von dem Yvonne Brütter laut ihrer Aussage eine mündliche Zusage für eine Wohnung erhalten hat, hält fest, dass er die Information, wonach es bei der Frau in der Vergangenheit zu problematischen Mietverhältnissen gekommen sei, «von einer sehr verlässlichen Seite» erhalten habe. «Diese hat keinerlei Bezug zu Kurt Reichelt oder seiner Verwandtschaft.»
Yvonne Brütter hat mittlerweile abgeschlossen mit ihrem Sehnsuchtsort in den Bergen. Heute lebt sie unten am Thunersee. Ihre ehemalige Nachbarin Lena Fischer ist noch immer in Adelboden. Erst Mitte Februar hat sie wieder einen staksig formulierten Drohbrief erhalten: «Verschwinde aus Adelboden du zahlst keine Steuern Schmarozer brauchen wir hier nicht veschwinde.»
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