Die italienische Mafia ist in der Schweiz weit verbreitet – viel mehr als bislang angenommen. Das zeigen bislang unveröffentlichte Daten des Bundesamts für Polizei (Fedpol), in die die «Aargauer Zeitung» Einblick hatte.
Die Mafiosi haben sich nicht nur wie bis anhin gedacht im Kanton Tessin eingenistet, sondern sind über die gesamte Schweiz verteilt. Besonders attraktiv ist das Gebiet rund um den Zürichsee. Hier wurden in den vergangenen Jahren vom Fedpol diverse Mafia-Aktivitäten aufgezeichnet.
Sergio Mastroianni, ein auf Mafia-Bekämpfung spezialisierter Bundesanwalt, meint sogar, das Phänomen sei in der Deutschschweiz besonders verbreitet. Auf einer Mafia-Karte wäre das Tessin Rot, die Deutschschweiz «tiefrot».
Auch 'Ndrangheta ist in der Schweiz
Immer mehr Indizien zeigen, dass die Mafiosi in der Schweiz nicht nur versteckt im Untergrund agieren. Sie schrecken auch vor Gewalttaten nicht zurück. Ein Dreifachmord in Basel im Jahr 1992 wurde nach Abschluss der Untersuchung als Beziehungsdelikt eingestuft. Nun sind neue Indizien aufgetaucht. Der Verdacht: Das vermeintliche Beziehungsdelikt war eine blutige Abrechnung zwischen zwei Mafia-Gruppierungen.
Auch die als gefährlich eingestufte 'Ndrangheta-Organisation hat sich in der Schweiz niedergelassen. In Frauenfeld TG filmte die Bundespolizei im Jahr 2014 mehrere Mafiosi der 'Ndrangheta bei einem Geheimtreffen. Getarnt war das Treffen als Boccia-Veranstaltung.
Behörden unterschätzten Mafia
Die Mafiosi gehen gewieft vor, nutzen vermeintlich unauffällige Gebäude für Treffen. Ein Restaurant in Muri AG soll von Mafiosi unterwandert und zur Drehscheibe zwischen den verschiedenen Zweigen umfunktioniert worden sein. Die Spuren führen zudem zu verschiedenen Unternehmen in der Umgebung. Es kam zu einer grossen Razzia, wie Blick vergangenes Jahr enthüllte.
Wie mächtig die Mafia in der Schweiz mittlerweile ist, realisierten die Behörden lange Zeit nicht. Noch im Jahr 2014 meinte der ehemalige Bundesanwalt Michael Lauber: «Die Schweiz ist kein mafiöses Land». Erst in diesem Herbst gab der Bundesrat erstmals zu, die Präsenz und die Aktivitäten von Mafia-Organisationen in der Schweiz seien «in den letzten Jahrzehnten unterschätzt» worden.
Härtere Rechtsmittel gefordert
Auch die Chefin des Fedpol fand an einer Veranstaltung im Sommer deutliche Worte: «Wir haben ein echtes Problem, das wir nur mit mehr nationaler und internationaler Zusammenarbeit lösen können», sagte Nicoletta della Valle.
Die Behörden kommen mit dieser Einschätzung reichlich spät. Denn die Mafia-Expertin Zora Hauser sagte bereits im vergangenen Jahr zu Blick: «Die Schweiz hat die Mafia unterschätzt.»
Ein Besuch von Blick im berüchtigten Quartier Scampia in Neapel zeigte im vergangenen Jahr zudem, wie manche Siedlungen in Italien noch immer als Nährboden für Nachwuchs-Mafiosi dienen. Den kriminellen Organisationen gehen die Handlanger nicht aus – auch nicht in der Schweiz.
Abhilfe soll eine verschärfte Strafnorm für kriminelle Organisationen schaffen. Diese gilt in der Schweiz seit Juli dieses Jahres. Wer zu den führenden Köpfen in einer kriminellen Organisation gehört, muss neu bis zu 20 Jahre hinter Gitter. Bisher waren es fünf Jahre.
Vielen Politikern und Strafverfolgern geht das zu wenig weit. Der «AZ» sagte der Tessiner Nationalrat Marco Romano (38), die «Naivität» müsse einer «Offensive zur Bekämpfung der Mafia» weichen. Und die Tessiner Anwältin Rosa Maria Cappa sagt, es brauche härtere Rechtsmittel: «Nur mit der Konfiszierung von Vermögen tun wir der Mafia richtig weh.» (zis)
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