Wer Mafiosi hinter Gitter bringen will, muss sich Gedanken über die eigene Sicherheit machen. Noch immer sind die Bilder der brutalen Mafia-Morde aus den 90er-Jahren in Italien präsent. Der bekannteste Fall passierte 1992, als der Wagen des berühmtesten Mafia-Jägers, Giovanni Falcone (1939–1992), in die Luft gejagt wurde. Die 500-Kilo-Bombe tötete den Richter und seine Frau, hinterliess einen riesigen Krater in der Strasse. In der Schweiz geht die Mafia unauffälliger vor. In Erinnerung sind in aus jüngster Vergangenheit die Überwachungsbilder der mutmasslichen Frauenfelder 'Ndrangheta-Zelle im Boccia-Club. Und eben der Grosseinsatz um die Zelle von Muri AG letzte Woche.
Hierzulande kümmert sich der Staatsanwalt des Bundes, Sergio Mastroianni (56), seit 2002 um organisierte Kriminalität. Auch Muri war sein Fall. Schon vor dem Interview mit dem Beamten ist Sicherheit ein Thema. «Auf ein Foto ist aus Sicherheitsgründen zu verzichten», heisst es von der Pressestelle der Bundesanwaltschaft.
Zum aktuellen Fall der Zelle in Muri kann sich Mastroianni nicht äussern – um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Und: Das Interview mit dem Mann, der eigentlich keine Interviews gibt, muss schriftlich stattfinden.
«Wenn ich Angst hätte, wäre ich nicht Staatsanwalt des Bundes»
Drängt sich die Frage auf: Haben die Schweizer Ermittler Angst wie die Kollegen in Italien? «Wenn ich Angst hätte, wäre ich nicht Staatsanwalt des Bundes», meint Mastroianni dazu nur kurz. Und: «Die Behörden schützen ihre Mitarbeitenden, die möglicherweise einer Bedrohungssituation ausgesetzt sein könnten.»
Die Bezeichnung «Mafia-Jäger» hört er nicht gerne. Im Gegensatz zu den italienischen Kollegen, die sich von Bodyguards umringt ablichten lassen. «Der Kampf gegen organisierte Kriminalität ist keine Frage der Person», sagt Mastroianni. «Netzwerke muss man mit Netzwerken bekämpfen.»
Für einige kriminelle Clans spiele die Schweiz eine spezielle Rolle. «Hier geht es oftmals nicht um das Geldverdienen, sondern um das ‹Reinwaschen› von Vermögen», so der erfahrene Mafia-Staatsanwalt. «Sie drängen in legale Wirtschaftsbereiche. Und zwar in jeden nur denkbaren Bereich, in dem sich spekulieren lässt.» Das sei ein Risiko für Berufsgruppen, die Aufträge oder Mandate für Drittpersonen ausführen – und plötzlich unwissentlich mit der Mafia geschäften.
Am gefährlichsten sind Zellen, die sich einnisten
Dass bei uns das Geld gewaschen wird, sei auch ein Grund, warum die Mafia zurückhaltender auftritt. «Um ihren Geschäftstätigkeiten nachgehen zu können, sind die meisten kriminellen Organisationen an Ruhe interessiert», erklärt Mastroianni. Fügt aber hinzu: «Das heisst nicht, dass gravierende Ereignisse auszuschliessen sind.»
Vor allem die kalabrische 'Ndrangheta weise eine «regelrechte Kolonialisierungstendenz» auf und gehöre zu den gefährlichsten Gruppen in der Schweiz. «Die gefährlichsten Formen der organisierten Kriminalität sind jene, die über einen langen Zeitraum starke Verbindungen innerhalb des jeweiligen Territoriums knüpfen, sich also regelrecht einnisten.»
Ein wichtiger Faktor sei die Sprache: «Ein Kronzeuge hat mal erklärt, die zweite Sprache der 'Ndrangheta sei Deutsch. Das heisst, dass die 'Ndrangheta nicht nur im Tessin präsent ist, sondern vor allem auch in deutschsprachigen Gebieten – etwa in der Deutschschweiz.»
Auch Niederlagen gehören zum Geschäft
Mastroianni musste auch schon medienwirksame Schlappen einstecken. Ermittlungen zu organisierter Kriminalität seien äusserst aufwendig, entgegnet er. «Die Strukturen und die Geschlossenheit der kriminellen Organisationen sind zusätzliche Herausforderungen.» Es habe auch wichtige Schuldsprüche gegeben, die aber nicht gleich viel Aufmerksamkeit erregten: «In einem Fall konnten wir erstmals mit einem sogenannten Pentito zusammenarbeiten, einem ehemaligen Mitglied, das gegen die Organisation aussagt.»
Um gegen die Mafia gewappnet zu sein, brauche es im 21. Jahrhundert gute Verbindungen ins Ausland. «Die organisierte Kriminalität bewegt sich in einem globalisierten wirtschaftlichen Umfeld.» Heisst bei der Bekämpfung: «Entscheidend ist der Einsatz von gemeinsamen Instrumenten, beispielsweise von gemeinsamen Ermittlungsteams. Solche Formen der Zusammenarbeit bestehen bereits heute, insbesondere mit Italien.»