Darum gehts
- Schweizweit gibt es noch 115 SBB-Reisezentren, vor 20 Jahren waren es 262
- Die SBB bietet jährlich etwa 100 Seniorenschulungen für digitalen Billettkauf an
- Die Seniorenschulungen werden von ehemaligen SBB-Mitarbeitern durchgeführt
Der Kurs ist auf 14.00 Uhr angekündigt, er beginnt um 14.05 Uhr. «Wir sind ein bisschen verspätet, sagt Kursleiter Willi Gasser. «Aber das ist ja typisch SBB.» 17 Seniorinnen und Senioren sitzen im Raum der Pro Senectute in Brunnen SZ, 12 von ihnen geben an, online bereits einmal den Fahrplan nachgeschaut zu haben. Die Stimmung ist konzentriert, auf den Tischen der Teilnehmer sind Notizhefte und Smartphones ausgebreitet.
In Brunnen gibt es ihn zwar noch, den bedienten Billettschalter, doch die Frage ist: Für wie lange noch? Schweizweit betreiben die SBB derzeit 115 Reisezentren, vor zwanzig Jahren waren es mit 262 mehr als doppelt so viele. Erst Anfang Jahr wurden etwa sechs bediente Schalter im Kanton Zürich geschlossen. Sogar der klassische Automat scheint längerfristig ein Auslaufmodell zu sein: Bereits heute werden vier von fünf Billetts online erworben, sagt die SBB-Pressestelle auf Anfrage. Für die nächsten Jahre werde es aber weiterhin «an jedem SBB-Bahnhof mindestens einen Billettautomaten geben».
Auch wenn ein physischer Erwerb erhalten bleiben soll: Bei der «Strategie 2035» der ÖV-Branchenorganisation Alliance Swisspass liegt der Fokus auf dem digitalen Billettkauf. Insbesondere für Senioren kann der Umstieg vom Schalter zum Smartphone herausfordernd sein. Aus diesem Grund führen die SBB in Zusammenarbeit mit Pro Senectute kostenlose «Seniorenschulungen» für die Bedienung ihres Apps durch, etwa hundert sind es dieses Jahr.
Tipps vom Profi
«Mir ist es schon ein bisschen peinlich, hier zu sein», sagt eine Kursteilnehmerin, die deshalb anonym bleiben möchte; sie fahre stets mit dem Auto, mit Zugfahrplänen sei sie überfordert. «Mir nicht», entgegnet ihr Doris Heini (67). Im Umgang mit dem Smartphone sei sie zwar auch kein Profi, aber: «Andere Leute können vermutlich andere Sachen nicht.» Auf den SBB-Kurs wurde Heini eher zufällig aufmerksam – ursprünglich wollte sie einen Spanisch-Kurs besuchen. «Es wird aber sicher nützlich werden, wenn es dann keine Billettautomaten mehr gibt.»
«Wie komme ich von Brunnen nach Erstfeld?», lautet die erste Aufgabe. Gasser hat gleich schon zwei Tipps parat: «Auf Gross- und Kleinschreibung muss man nicht achten.» Und: «Einfach nur ‹Brunnen› schreiben, nicht ‹Brunnen, Bahnhof›.» Gibt man nämlich «Bahnhof» mit an, dann bezeichnet dies die Bushaltestelle, nicht das Perron. Während die Teilnehmer nach der Zugverbindung suchen, gehen Martin Müller und Hans-Peter Häderli – wie Gasser beides pensionierte SBB-Mitarbeiter – herum und kontrollieren, ob alles klappt. «Das ist ja noch einfach», sagt eine Teilnehmerin. «Ja», stimmt ihr eine Sitznachbarin zu. «Noch.»
Die Befürchtung bewahrheitet sich, das Niveau steigt an. Auf dem Programm stehen der Touch-Fahrplan, mit dem sich oft genutzte Reiseziele speichern lassen, ebenso wie Easyride und Sparbillette. Als Gasser aufzeigt, wie man für den Fussweg auf der App sogar eine GPS-Karte aufrufen kann, geht ein erstauntes Raunen durch den Raum. «Hei! Schon verrückt», entfährt es einer Frau mit kurzen Haaren. «Aber super!»
Bedienungsanleitung inklusive
Der Kurs sei «sehr gut» gewesen, sagen Adolf Hediger (81) und Hanny Arnold (78) im Nachgang einhellig. «Nur ein bisschen viel auf einmal», fügt Hediger an. Die digitale Welt ist für den ehemaligen Uhrmacher und langjährigen Blick-Leser Neuland. Erst diese Woche schenkte ihm die Tochter sein erstes Smartphone, zum Kurs nahm er gleich noch Verpackung und Bedienungsanleitung mit. Einen Computer hat Hediger nicht, für den Zug kauft er normalerweise eine Mehrfahrtenkarte am Schalter.
Hanny Arnold findet es zwar wichtig, dass Schulungen angeboten werden; zugleich sei es aber bedenklich, dass man durch die Schalterschliessungen fast zur App gezwungen werde. «Die SBB nehmen keine Rücksicht auf Senioren», sagt sie, während Hediger und Doris Heini zustimmend nicken. «Man schreibt uns nur ständig vor, was wir lernen und machen sollen.» Ältere Menschen seien es sich gewohnt, ihre Billette am Schalter zu kaufen und dort Auskunft und Fahrpläne zu erhalten. Schon die Bedienung von Automaten überfordere manche, bei anderen seien die Finger nicht mehr flink genug.
ÖV-Verband gibt Entwarnung
«Der öffentliche Verkehr ist ein Grundbedürfnis. Wir haben den Auftrag, dafür zu sorgen, dass ihn alle Menschen immer benutzen können, auch ohne Smartphone», sagt Michaela Ruoss, Mediensprecherin von Alliance Swisspass. Es sei aber ein Fakt, dass bediente Schalter und Automaten zum Billettverkauf immer weniger genutzt würden und viel Geld im Unterhalt kosten. Die Branche arbeite derzeit an alternativen Vertriebsmöglichkeiten, über die man sich mit Interessensvertretern wie der Pro Senectute austausche, so Ruoss. «Auch in Zukunft soll jeder, der das möchte, anonym und ohne Handy reisen können.»