Nun wütet das mutierte Coronavirus auch in den Klassenzimmern: Im ganzen Land müssen Klassen in Quarantäne, Schulen werden nach Infektionsausbrüchen geschlossen.
Seit Montag sind Schulen in Morbio Inferiore TI und St. Moritz GR geschlossen und Klassen in Oberwil BL, Frauenfeld TG und Bremgarten BE in Quarantäne geschickt worden. Am Dienstag geht es im gleichen Stil weiter: In Cham ZG und Volketswil ZH müssen mehrere Klassen zu Hause bleiben, in Kilchberg ZH wird gar eine ganze Schule geschlossen.
«Wir kommen um schärfere Massnahmen nicht herum»
Trotzdem will der Bundesrat keine Schulschliessungen. Wie BLICK-Recherchen zeigen, will Gesundheitsminister Alain Berset (49) ganz auf neue Massnahmen in den Klassenzimmern verzichten. Dies, obwohl unter anderem Epidemiologe Marcel Tanner (68) forderte, in den höheren Schulstufen auf Fernunterricht umzustellen.
Der Entscheid Bersets stösst in der Wissenschaft auf Unverständnis. Für Immunologe Daniel Speiser (65) von der Universität Lausanne beispielsweise ist klar: «Wir kommen um schärfere Massnahmen in den Klassenzimmern nicht herum.» Er fordert eine umgehende Verschärfung und bei den älteren Schülern nach Möglichkeit eine Umstellung auf Fernunterricht.
«Abstand können wir unmöglich einhalten»
Auch die Schüler wollen sich nicht mehr dem Risiko aussetzen. BLICK-Leser Tobias K.* (18) beispielsweise erlebt am Montag an der Berufsfachschule für Verkehrswegbauer in Sursee LU «Szenen wie in einem schlechten Film». Nach einer Woche Heimunterricht sei seine Klasse wieder für den Präsenzunterricht aufgeboten worden. Tobias K. sagt: «In der Mensa sitzen alle nebeneinander. Den Abstand können wir unmöglich einhalten.» Er sei nicht der einzige, der sich daran störe.
Schulleiter Florian Tschümperlin sagt zu BLICK, dass die Hälfte der Klassen bereits im Fernunterricht sei. Eine Umstellung für alle auf Fernunterricht sei aber nicht vorgesehen: «Wir haben vonseiten des Kantons Luzern klare Weisungen, die wir umsetzen müssen.»
«Schulen sind idealer Nährboden für das Virus»
Schülerin Veronika M.* (20) hat für die Situation kein Verständnis. Sie besucht das Berufsbildungszentrum GBS in St. Gallen. «Wir Schüler wehren uns gegen den Präsenzunterricht», sagt sie. «Wir arbeiten im Betrieb von zu Hause aus, um uns zu schützen, und gehen dann in die Schule, wo die Abstände kaum eingehalten werden können. Das ergibt überhaupt keinen Sinn.» Problematisch sei vor allem die An- und Abreise. Die Busse seien voll gefüllt, Abstände könne man nicht einhalten.
Für Immunologe Speiser ist klar: «Der Transport zu den Schulen ist ein Problem. Volle Busse und Züge, aber auch die Klassenzimmer sind ideale Nährböden für das Virus.» Lange warten könne man nicht mehr. «Die Ereignisse zeigen klar und deutlich: Es braucht eine Verschärfung», so Speiser, auch in den Primarschulen: «Bei den jüngeren Schülern kann der Unterricht weiterhin durchgeführt werden, allerdings nur unter strengen Schutzmassnahmen. Denkbar wäre beispielsweise eine Umstellung auf Halbklassenunterricht.»
GBS-Rektor Daniel Kehl lässt in einer Stellungnahme gegenüber «FM1 Today» bereits durchblicken, dass er für die Schüler Verständnis habe: «Die Schülerschaft setzt sich aus verständlichen Gründen für den Fernunterricht ein. Wir nehmen uns dem Thema an», so Kehl.
Für Berufsfachschüler Tobias K. ist nach dem Gedränge in der Mensa jedenfalls klar: «Wir brauchen dringend eine Änderung. Es ist Zeit für Homeschooling. So geht es nicht weiter!» Und Veronika M. meint: «Der Bundesrat soll mal auf die Strasse und in die Schulen schauen, damit er mal merkt, wie es dort wirklich aussieht. Wenn die Läden schon zu sind, sollen die Schulen auch zu machen – zumindest die höheren Stufen. Nur so sind wir sicher.»