Über 1000 Menschen wurden innert 24 Stunden positiv auf das Coronavirus getestet. Der Höchststand seit Anfang April. Die Zahlen steigen wieder – und erregen Besorgnis. Doch wie sieht die aktuelle Lage wirklich aus?
1. Ist die Lage wieder so schlimm wie im Frühling?
Die Epidemiologen des Landes sind besorgt, bleiben aktuell aber vorsichtig optimistisch. Die Infektionsketten seien durch das Contact Tracing weiterhin nachvollziehbar. Auch ein Blick auf die Zahlen zeigt: Die Hospitalisierungen und Todesfälle im Zusammenhang mit Corona-Infektionen sind im Vergleich zum Frühling deutlich niedriger.
2. Wieso gibt es im Vergleich mit der ersten Welle so wenige Hospitalisierungen?
Lag die Zahl der Personen, die sich in Spitalpflege befanden, Anfang April bei 76, so waren es am Mittwoch lediglich 10 Corona-Infizierte, die hospitalisiert werden mussten. Am Donnerstag dann 27. Dass es zu weniger Hospitalisierungen kommt, liegt daran, dass der Altersdurchschnitt der Infizierten und Erkrankten sich stark verändert hat. Der Anteil der über 70-jährigen Personen an der Gesamtzahl der Infizierten ist laut Berechnungen des «Boten der Urschweiz» von 22 auf 5 Prozent gesunken.
3. Wie sahen die Todesraten im Frühling bei ähnlich hohen Infektionszahlen aus?
Am Mittwoch hat das BAG bei 1077 Neuinfizierten zwei neue Todesfälle vermeldet. Am Donnerstag dann 1172 Neuinfizierte und zwei weitere Todesfälle. Zum Vergleich: Am 1. April wurden bei 1064 Neuinfektionen 62 Todesfälle registriert. Während der ersten Welle vom 1. Februar bis zum 31. Mai sind laut den Berechnungen des «Boten der Urschweiz» insgesamt 1683 Menschen gestorben. Das sind 5,46 Prozent der Infizierten.
Eine Berechnung zur zweiten Welle, die vom 1. Juni bis 22. September eingegrenzt wurde, zeigt: 90 Menschen starben in dem Zeitraum. Das sind 0,45 Prozent der Infizierten.
4. Wie sieht es aktuell mit den Kapazitäten auf den Intensivstationen aus?
BLICK liegt eine Übersicht der Belegung der Intensivbetten vor. Demnach gibt es derzeit insgesamt 1059 Intensivbetten. Von diesen sind Stand Mittwoch 36 mit Corona-Patienten und 663 mit Nicht-Corona-Patienten belegt. Weitere 360 Betten sind frei.
Schweizweit gibt es derzeit 82 von der SGI zertifizierte und anerkannte Intensivstationen, wie es auf Anfrage von BLICK bei der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) heisst. Gemäss dem SGI stehen so aktuell zwischen 950 und 1000 Intensivbetten zur Verfügung.
Zu den auf Intensivstationen verfügbaren Betten kommen gemäss der SGI zurzeit 400 bis 450 Betten auf Intermediate Care Units hinzu. Die IMC-Units, eine Art Überwachungsstationen, sind das Bindeglied zwischen der Intensivstation, dem Notfall und den jeweiligen Abteilungen.
5. Was sagt die Anzahl Tests aktuell über die Situation aus – und wie war das im Frühling?
Die Infektionszahlen sind hoch – die Zahl der Tests jedoch auch. Täglich werden zwischen 5000 und 15'000 Tests gemacht. Im Frühling waren es deutlich weniger, die Dunkelziffer war höher. Der Grund dafür ist laut Andreas Cerny (64), Virologe am Corona-Referenzspital Moncucco in Lugano TI, simpel: «Der Unterschied erklärt sich mit den unterschiedlichen Testkriterien», sagt er zu BLICK.
«Die Patienten mussten Fieber und Husten haben und meist wurden sie erst im Spital getestet», so der Tessiner Epidemiologe. «Es wurden wesentlich weniger Tests gemacht. Wir haben damals nur die Spitze des Eisbergs getestet», erklärt Cerny. Nun wird viel breiter getestet.
6. Ist der kantonale Flickenteppich der Corona-Massnahmen heute ein Problem für die Eindämmung?
Der Basler Epidemiologe Marcel Salathé von der ETH Lausanne findet: Nein – es ist sogar ein Vorteil. Gegenüber der «Aargauer Zeitung» sagt er: «Man muss auch die lokale Situation anschauen.» Er nennt das Beispiel Genf, wo man sich vor kurzem sorgte, die Lage gerate ausser Kontrolle.
«Heute ist die Situation dort einigermassen stabil. Das ist in meinen Augen die Stärke des Systems: dass man lokal den Fällen nachgeht», erklärt er.
7. Was kann die Medizin heute, was zu Beginn der Pandemie noch nicht bekannt war?
Mittlerweile sind neue Behandlungsmöglichkeiten erprobt. Im Fokus stehen besonders Arzneimittel, die schon gegen eine andere Krankheit zugelassen oder zumindest in Entwicklung sind. So werden mittlerweile zum Beispiel antivirale Medikamente, die ursprünglich gegen Ebola, Hepatitis C, Grippe, Sars oder Mers entwickelt wurden, bei Corona-Erkrankten verwendet. So auch das Medikament Remdesivir.
Ebenfalls werden mittlerweile zur Behandlung von Corona-Patienten Antikörper gespritzt. Diese werden aus dem Blutserum von Personen, die die Krankheit bereits überstanden haben, gewonnen. (euc/rad/jmh)
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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