Frau Heiligtag, warum wollen Bauern, die sich bei Ihnen melden, aus der Milchproduktion aussteigen?
Sarah Heiligtag: Viele fühlen sich in einem System gefangen, das sie zwingt, Tiere schlecht zu behandeln, und das gegen ihre Wertvorstellungen spricht. Meistens sehen sie nur zwei Wege: weitermachen oder ganz aufgeben. Es gibt aber noch die dritte Dimension: Man kann Landwirt bleiben, es aber anders machen. Erkennen die Bauern das, wird eine Hofumstellung plötzlich interessant.
Gibt es Gemeinsamkeiten unter diesen Bauern?
Es ist oft der Bauernsohn, der um die 30 ist und den Betrieb übernommen hat. Und es gibt ein paar wenige, die 50 oder älter sind und sich sagen, dass sie am Ende ihrer Karriere noch etwas anderes machen möchten.
Es ist also vor allem eine neue Generation von Landwirten, die sich mit der herkömmlichen Milchproduktion nicht mehr wohlfühlt?
Ja. Das hat sicher auch damit zu tun, dass heute alles zackig gehen muss. Man hat zwar oft das Gefühl, dass die Milchproduktion in der Schweiz schön sei. Aber das ist in den meisten Fällen nicht so. Der Mythos vom schönen Heidiland ist am Zerbröckeln. Auch weil es immer mehr Produktalternativen gibt und die Klimabewegung erstarkt.
Das macht den Bauern Mut ...
Ja, sie merken: Da gibt es Konsumenten und eine Bewegung, die für eine neue Art der landwirtschaftlichen Produktion offen sind.
Laut Branchenvertretern handelt es sich nur um einige wenige Bauern, die auf vegan umstellen.
Im Gegenteil, wir haben mit immer mehr Bauern zu tun. Es findet gerade ein Wandel statt.
Welche Vorteile hat ein Bauer, der die Umstellung wagt?
Für die psychische Gesundheit ist es sicher ein riesiger Gewinn. Und die Bauern freuen sich, dass ihnen viele Leute Zuspruch spenden oder auf dem Hof unter die Arme greifen. Plötzlich entsteht da eine Community, die sie vorher nicht hatten.
Also waren sie vorher oft unzufrieden?
Die Produktion tierischer Erzeugnisse kann krank machen – gerade wenn man merkt, was man eigentlich tut, und dann in einen inneren Konflikt gerät. Ein Bauer hat es letzthin schön auf den Punkt gebracht: Er sagte, dass er das Geld, das er weniger einnimmt, jetzt nicht mehr für den Psychiater ausgibt.
Was sind die grössten Hürden bei einer Umstellung?
Oft ist die soziale Komponente die schwierigste. Wollen Bauern andere Wege gehen, mangelt es oft an Unterstützung innerhalb der Familie – oder es gibt im Dorf blöde Sprüche. Manche Landwirte wollen sich dem nicht stellen oder haben sogar Angst davor. Und ich bin überzeugt: Es würden mehr Bauern umstellen, wenn bei der tierischen Produktion nicht so viel höhere Subventionen fliessen würden als bei der pflanzlichen. Die Politik müsste Anreize schaffen für eine nachhaltigere Landwirtschaft, die zudem weniger Tierleid verursacht.
Verzichten die Bauern nach der Umstellung auch selbst auf tierische Produkte?
Viele essen schon vorher kein Fleisch mehr oder leben vegan. Für andere wird es mit der Zeit zur logischen Konsequenz.
Worauf stellen die meisten um?
Auf eine kombinierte Form von Lebenshof und Ackerbau. Den Acker haben sie ja meistens sowieso schon fürs Tierfutter. Jetzt wird dieser einfach direkt für die menschliche Nahrung verwendet.
Tiere auf Lebenshöfen werden oft via Patenschaften finanziert. Landwirte sind also darauf angewiesen, dass Privatpersonen ihren Traum finanzieren.
Nicht unbedingt. Patenschaften sind nur ein Thema, wenn Öffentlichkeitsarbeit zum neuen Konzept gehören soll. Man kann die Tiere auch anders finanzieren. Zum Beispiel, indem man Eiweiss in Form von Erbsen anbaut und diese an eine Firma verkauft, die vegane Burger herstellt.
Ist jetzt ein guter Zeitpunkt für Landwirte, auf pflanzliche Produktion umzustellen?
Sogar der beste! Vor allem auch, wenn man das Regionale fördern möchte. Das betrifft nicht nur Bauern – es ist eine riesige Chance für die gesamte Lebensmittelproduktion in der Schweiz.
Sarah Heiligtag (41) begleitet als landwirtschaftliche Beraterin bei der Tierschutzstiftung NEB Höfe bei der Umstellung. Sie ist zudem Co-Betriebsleiterin des Lebenshofs Hof Narr in Hinteregg ZH.
Sarah Heiligtag (41) begleitet als landwirtschaftliche Beraterin bei der Tierschutzstiftung NEB Höfe bei der Umstellung. Sie ist zudem Co-Betriebsleiterin des Lebenshofs Hof Narr in Hinteregg ZH.