Noch besteht Hoffnung. Hoffnung, unter den Trümmern in der Türkei und in Syrien nach den verheerenden Erdbeben am Montag Überlebende zu finden. «Die ersten 72 Stunden nach so einem Ereignis sind zentral», so Alessio Marazza (50), Oberst im Generalstab der Schweizer Armee. Der Stabschef des Lehrverbandes Genie, Rettung und ABC erklärt: «Später nimmt die Chance, retten zu können, stark ab.»
Am Montag entsendete die Armee Spezialisten der Rettungstruppen mit der Rettungskette des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ins Katastrophengebiet. «Wir wurden am Montagmorgen früh alarmiert, danach haben wir unsere Leute auf Pikett gestellt und später an den Flughafen gebracht. Währenddessen haben wir das Material bereitgestellt und konnten dann sehr rasch reagieren, als wir grünes Licht für den Einsatz erhalten haben», erklärt der Berufsmilitär. «Um 15 Uhr ist ein Vorausdetachement der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und der Armee losgeflogen, um die Ankunft der ganzen Staffel vorzubereiten. Diese ist dann um 21 Uhr nachgereist.»
Schlafen im Zelt bei klirrender Kälte
Am Dienstagmorgen seien die insgesamt 80 Helferinnen und Helfer aus der Schweiz in der türkischen Stadt Adana eingetroffen, darunter neun Berufsmilitärs und 20 Durchdiener des Kommandos Katastrophenhilfebereitschaftsverband. Mit im Gepäck: Schwere Geräte wie Betonschneider, Bohrhammer und Kreissägen. Auch Suchhunde von REDOG sowie Gerätschaften für die Ortung von Verschütten haben die Schweizer Einsatzkräfte dabei.
«Eine erste Herausforderung war bereits die Verschiebung mit dem ganzen Material vom Flughafen bis ins Einsatzgebiet, da die Strassen durch das Erdbeben teilweise stark beschädigt sind», so Marazza. «Und man darf nicht vergessen: In der Türkei herrschen derzeit Temperaturen um den Gefrierpunkt und unsere Leute schlafen im Zelt.»
Menschenleben retten muss geübt sein
Auch am Dienstag trainiert ein Zug im Übungsdorf in Wangen an der Aare BE, wie man sich bei einer derartigen Katastrophe verhält und Menschenleben rettet. Blick darf bei der Übung dabei sein und der Oberst im Generalstab erklärt vor Ort: «Die eingestürzten Gebäude in der Türkei sehen nun ähnlich aus, wie dieser Trümmerhaufen da.» Er zeigt auf einen Berg von zerfallenen Betonelementen.
Eine Gruppe von Wachtmeistern steht oben auf den Trümmern. Ein junger Mann hält eine Kreissäge, die mit Wasser gekühlt werden sollte. Er ruft zu seinen Kameraden, die bei dem Wasserbecken stehen: «Es kommt noch kein Wasser!» Einer antwortet: «Das Wasser im Schlauch ist gefroren, wir brauchen einen anderen Schlauch.» Nach dem kurzen Schlauchaustausch funktioniert die Säge und der Wachtmeister schneidet ein Dreieck in den grossen Betonklotz.
Alessio Marazza (50) ist Oberst im Generalstab und Stabsschef des Lehrverbands Genie, Rettung und ABC. Der Tessiner ist in Zuchwil SO stationiert und wohnt selbst ebenfalls im Kanton Solothurn. Er ist seit dem Jahr 1997 bei der Armee tätig und stand auch selbst schon im Auslandseinsatz. Zuletzt war mit dem Soforteinsatzteam der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) im Jahr 2020 in Beirut bei der Explosionskatastrophe und ein Jahr später in Haiti wegen des Erdbebens.
Alessio Marazza (50) ist Oberst im Generalstab und Stabsschef des Lehrverbands Genie, Rettung und ABC. Der Tessiner ist in Zuchwil SO stationiert und wohnt selbst ebenfalls im Kanton Solothurn. Er ist seit dem Jahr 1997 bei der Armee tätig und stand auch selbst schon im Auslandseinsatz. Zuletzt war mit dem Soforteinsatzteam der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) im Jahr 2020 in Beirut bei der Explosionskatastrophe und ein Jahr später in Haiti wegen des Erdbebens.
Möglichst realistische Trainings
Wenig später fingiert einer der Truppe ein Opfer, welches bei einem Beben verschüttet wurde. Die Kameraden hieven den Verletzten auf eine Trage, schnallen ihn fest und ziehen ihn durch einen kleinen Spalt unter den Trümmern hervor. Zu viert tragen sie den jungen Mann über die Trümmerhaufen davon.
«Wir versuchen, die Übungen so realistisch wie möglich zu gestalten», erklärt Marazza, während er die Szenen beobachtet. «Genau für solche Einsätze wie diesen nun in der Türkei ist das wichtig. Und umgekehrt wird uns der Einsatz in der Türkei auch wieder einiges lehren, was wir dann hier in zukünftigen Trainings einbauen werden, um im Ernstfall so viele Menschenleben wie möglich retten zu können.»
Sicherheit der Schweizer Staffel ist oberstes Gebot
Das Ausmass der Tragödie macht den Stabschef sehr betroffen. Er spricht den Angehörigen der unterdessen rund 5000 Todesopfern sein tiefstes Beileid aus. Was ihm auch ein grosses Anliegen ist: Die Sicherheit der Schweizer Staffel vor Ort.
«Wir wissen, wie wir uns verhalten müssen. Wir betreten beispielsweise keine unsicheren Gebäude und nächtigen deswegen auch im Zelt. Ein Restrisiko bleibt jedoch immer.» Ganz ruhig schlafe er aktuell nicht mehr: «Schliesslich sind das teilweise auch unsere Leute und ich wünsche mir, dass alle heil wieder zurückkehren.»
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