Die Prügel-Attacke zweier Teenie-Mädchen (13) schockt derzeit Deutschland. Ein Video, das im Netz kursiert, zeigt, wie die beiden gnadenlos auf ihr 14-jähriges Opfer einprügeln. Selbst, als die Jugendliche am Boden liegt, treten sie mehrfach zu. Sie wurde bei dem Angriff derart schwer verletzt, dass sie im Spital liegt.
Obwohl Dirk Baier (46), Gewaltforscher und Kriminologe an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, tagtäglich mit Jugendgewalt konfrontiert ist, lässt ihn das Video fassungs- und ratlos zurück. «Bei jungen Männern würde man noch eher erwarten, dass sie so aufeinander losgehen – hier handelt es sich aber um junge Mädchen», sagt Baier. Auch er als Kriminologe frage sich natürlich, ob nun auch weibliche Jugendliche nicht mehr vor solchen Gewalttaten zurückschrecken.
Anstieg bei Verurteilungen von weiblichen Jugendstraftätern
In Bezug auf Gewalt herrsche zwischen den Geschlechtern aber nach wie vor eine grosse Diskrepanz: «Von fünf Jugend-Gewalttätern sind statistisch gesehen vier männlich», so der Experte. Und: Je schwerer das Delikt, umso eher handle es sich um männliche Täter.
Trotzdem ist auch bei den Verurteilungen von weiblichen Jugendstraftätern ein Anstieg zu beobachten. Ein Blick in die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigt: Während 2020 noch 3657 der Minderjährigen, die verurteilt wurden, Mädchen waren, belief sich die Zahl 2021 bereits auf 4196. Bei den Gewaltstraftaten sei die Zunahme jedoch geringer. «2020 wurden 216 Mädchen wegen einer Gewaltstraftat verurteilt, 2021 waren es 240», erklärt Baier.
Bei dem Grossteil der Fälle komme es jedoch erst gar nicht zu einem Prozess. «Studien zeigen, dass vier von fünf Gewaltdelikten nicht angezeigt werden», sagt Baier. Einerseits hätten die Opfer häufig Angst vor weiteren Attacken und den Mut nicht, die Polizei einzuschalten.
Bei Mädchen nehme zudem das Gruppen-Phänomen eine zentrale Rolle ein. «Vielfach braucht es eine Clique und einen Anführer, um die letzte Hemmschwelle fallen zu lassen. Das sieht man auch im aktuellen Video. Da waren sie zu zweit.» Bei Jungs dagegen komme es häufig auch zu 1:1-Auseinandersetzungen.
«Auch hierzulande ist eine solche Attacke nicht ausgeschlossen»
Allgemein lasse sich sagen, dass es in den letzten fünf Jahren zu einem massiven Anstieg der Jugendgewalt gekommen sei. «Wir haben mittlerweile zwischen einem Drittel und der Hälfte mehr Täter als noch 2015», so Baier. Dabei bemerke man eine Vorverlagerung des Alters. In den letzten fünf Jahren habe die Jugendkriminalität in der Gruppe der 10- bis 14-Jährigen um über 30 Prozent zugenommen.
Das betreffe im Allgemeinen Mädchen wie Knaben. «Mädchen können genauso brutal vorgehen, wenn sie sozialen Umständen ausgesetzt sind, die sie zu Gewalttätern machen», erklärt Baier. Und: Die Schweiz sei dabei keine Ausnahme: «Auch hierzulande ist eine solch brutale Attacke wie in Rastatt nicht auszuschliessen.»
Trotzdem sei die Schweiz im Gegensatz zu anderen Ländern «gut aufgestellt». «Das Jugendgewalt-Niveau und damit auch Gewalt unter Mädchen ist hierzulande niedriger als andernorts.» Zudem betont Baier, dass solche Szenen wie im Video aussergewöhnlich seien und nicht exemplarisch für alle Jugendlichen gelten.
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