In der Schweiz ist Prostitution legal. Trotz der vergleichsweise liberalen Gesetzgebung ist die Dunkelziffer an Prostituierten jedoch hoch. Besonders ausländische Sexarbeiterinnen leben oft unter prekären Bedingungen. Die Gründe sind vielschichtig.
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«Ein grosser Teil der Sexarbeit findet im Versteckten statt», erklärt Rebecca Angelini, Vorsteherin von ProCoRe, dem nationalen Netzwerk für die Rechte von Sexarbeitenden in der Schweiz, in der Sendung «Tagesgespräch» von SRF. Dabei unterscheiden sich die Realitäten der Sexarbeiterinnen stark, so Angelini. Während es eine privilegierte Gruppe gibt, die in edlen Clubs oder im Escort-Bereich genug Geld verdient, um über die Runden zu kommen, stammen die sogenannten «Pendlermigrantinnen» meistens aus Osteuropa und erhoffen sich, in der Schweiz Geld für die Familie zu Hause zu verdienen. «Sie entscheiden sich oft rational für die Sexarbeit, da es für sie die beste der wenigen Möglichkeiten ist, um der wirtschaftlich schlechten Situation in der Heimat zu entkommen.», so Angelini. Aufgrund der Personenfreizügigkeit können die Frauen maximal 90 Tage in der Schweiz arbeiten, bevor sie eine Bewilligung brauchen.
Angebot auf Strassenstrich grösser als Nachfrage
Fachleute schätzen, dass rund zehn Prozent der Prostituierten auf dem Strassenstrich arbeitet. Vor allem Pendlermigrantinnen stehen unter grossem Druck. «Sie müssen Geld verdienen, um ihre Familie zu ernähren oder eine Wohnung zu bezahlen.»
In den städtischen Gebieten stellt ProCoRe in den letzten Jahren einen Preis-Verfall fest. Die Angebote seien teils höher als die Nachfrage. Angelini warnt: «Läuft das Geschäft schlecht, führt das zu einem ungleichen Machtgefälle.» Die Frauen seien darauf angewiesen, in der Schweiz Geld zu verdienen, dieser Umstand gebe den Freiern oder auch den Bordellbesitzern Verhandlungsmacht. «Kunden können die Preise drücken oder riskante Praktiken wie beispielsweise Sex ohne Kondom verlangen.» Um überleben zu können, willigen die Frauen oftmals ein.
«Sehr hohes» Gewaltpotenzial
Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) stuft das Gewaltpotenzial im Sexgewerbe als «sehr hoch» ein. Angelini glaubt jedoch nicht, dass die reine Sexarbeit die Ursache dafür ist: «Die Mehrheit der Sexarbeiterinnen sind Frauen, oft Migrantinnen, zum Teil Transpersonen oder auch Sans-Papiers. Sie gehören zu den Bevölkerungsgruppen, die grundsätzlich stärker von Gewalt betroffen sind».
Je prekärer die Gesamtsituation, desto anfälliger sei eine Sexarbeiterin für Gewalt, so Angelini gegenüber SRF. Hinzu kommt: Strafverfolgungsbehörden würden die erlebte Gewalt als Teil des Berufsrisikos betrachten: «Es ist eine Täter-Opfer-Umkehr, Sexarbeiterinnen eine Mitverantwortung zuzuschreiben.» Stigmata hielten Frauen oft davon ab, Anzeige zu erstatten. (ene)