«Es ist sauber hier und ich habe anständige Kunden»
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Sexarbeiterin Simi (29):«Es ist sauber hier und ich habe anständige Kunden»

Blick geht Briten-Bericht nach
Ist die Schweiz wirklich eine Prostitutions-Hölle?

Glaubt man den Briten, ist die Schweiz eine Prostitutions-Hölle. So zumindest wird unsere Heimat in einer mehrteiligen Reportage dargestellt. Blick ist dem Bericht der «Sun» nachgegangen – mithilfe von Expertinnen und Direkt-Betroffenen.
Publiziert: 08.02.2024 um 09:00 Uhr
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Aktualisiert: 08.02.2024 um 10:24 Uhr
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Ist die Schweiz eine Prostitutions-Hölle? So zumindest wird unsere Heimat in der britischen «Sun» bezeichnet.
Foto: Ralph Donghi

Die mehrteilige Reportage der britischen «Sun» provoziert. «Willkommen in der Schweiz, wo Prostitution legal ist und das Bezahlen für Sex so einfach wie die Bestellung eines Ubers ist», heisst es darin. Die Zeitung zeichnet ein düsteres Bild unserer Heimat: Die Schweiz sei nicht nur eine Hochburg für käuflichen Sex und Zürich die neue Sex-Hauptstadt. Die Eidgenossenschaft wird gar als Hölle für Prostituierte bezeichnet.

Doch wie schlimm ist die Situation in unserem Sexgewerbe wirklich? Blick hat mit Expertinnen und Direkt-Betroffenen – wie der Prostituierten Simi – gesprochen.

Gespräche mit rund 100 Prostituierten

Und auch mit Aline Wüst. Die frühere SonntagsBlick-Redaktorin recherchierte zwei Jahre lang im Rotlichtmilieu und sprach mit rund hundert Frauen aus der Schweiz, die ihr Geld mit Sex verdienten.

Viele Frauen beschwerten sich über den Umgang der Freier. So habe eine Betroffene erzählt: «Männer denken, dass sie alles mit einer Frau machen können, nur weil sie für Sex mit ihr bezahlt haben», sagt Wüst, die aktuell bei der NGO Heartwings arbeitet, zu Blick.

Wüst findet: «Die Briten haben recht, wir sollten nichts beschönigen! Prostitution ist geprägt von Armut, Gewalt, Rassismus und Ausbeutung – in der Schweiz umso mehr.» Das habe mit der schweizerischen Gesetzgebung zu tun: «Unsere Gesetze sind für Frauen, die Prostitution freiwillig wählen.» Doch ihre Erfahrung zeige, dass es solche Frauen kaum gibt.

Prostitution in der Schweiz

In der Schweiz ist Prostitution seit 1942 legal. Sie gilt als Beruf wie jeder andere, mit Sozialversicherung, Steuer- und Anmeldepflicht. Gemäss Schätzungen nimmt ein Fünftel der Männer einmal im Jahr sexuelle Dienstleistungen in Anspruch – für bis zu einer Milliarde Franken im Jahr. Ihnen stehen 13'000 bis 20'000 Prostituierte gegenüber. Genaue Zahlen gibt es nicht, da es schwierig ist, an die Involvierten heranzukommen. Gemäss dem Bund arbeiten die meisten Prostituierten in den Kantonen Bern und Zürich.

In der Schweiz ist Prostitution seit 1942 legal. Sie gilt als Beruf wie jeder andere, mit Sozialversicherung, Steuer- und Anmeldepflicht. Gemäss Schätzungen nimmt ein Fünftel der Männer einmal im Jahr sexuelle Dienstleistungen in Anspruch – für bis zu einer Milliarde Franken im Jahr. Ihnen stehen 13'000 bis 20'000 Prostituierte gegenüber. Genaue Zahlen gibt es nicht, da es schwierig ist, an die Involvierten heranzukommen. Gemäss dem Bund arbeiten die meisten Prostituierten in den Kantonen Bern und Zürich.

Mehr Menschenhandel

Und sie betont: «Je grösser das Sexgewerbe wird, desto mehr Menschenhandel gibt es. Denn: Steigt die Nachfrage, muss diese irgendwie gestillt werden. Also werden die Frauen – meistens unter Vorwänden – in die Prostitution eingeführt.»

Prostitution: Das nordische Modell

Das nordische Modell ist auf die Freier fokussiert, nicht auf die Prostituierten. Gemäss dem Modell macht sich die Person strafbar, die für Sex bezahlt. Hinzu kommt ein Paket von Massnahmen, die die Frauen unterstützt. Dazu gehören Ausstiegshilfen, aber auch Prävention. Als erstes Land führte Schweden das Modell 1999 ein. Später folgten Norwegen, Island, Kanada, Nordirland, Frankreich, Irland und Israel. In der Schweiz lehnte das Parlament 2022 eine Motion von Marianne Streiff-Feller (EVP), die ein solches Sexkaufverbot verlangte, ab.

Das nordische Modell ist auf die Freier fokussiert, nicht auf die Prostituierten. Gemäss dem Modell macht sich die Person strafbar, die für Sex bezahlt. Hinzu kommt ein Paket von Massnahmen, die die Frauen unterstützt. Dazu gehören Ausstiegshilfen, aber auch Prävention. Als erstes Land führte Schweden das Modell 1999 ein. Später folgten Norwegen, Island, Kanada, Nordirland, Frankreich, Irland und Israel. In der Schweiz lehnte das Parlament 2022 eine Motion von Marianne Streiff-Feller (EVP), die ein solches Sexkaufverbot verlangte, ab.

Weil die liberale Gesetzgebung gescheitert sei, werde im Ausland über eine Kehrtwende zum nordischen Modell diskutiert – so etwa in Deutschland.

«Bericht fernab der Realität»

Doch: Die Expertinnen sind sich uneinig. So zerreisst Rebecca Angelini (45), Geschäftleiterin von ProCoRe, dem nationalen Netzwerk für die Rechte von Sexarbeitenden in der Schweiz, die Sun-Berichterstattung: «Als Fachperson, die sich seit Jahren mit dem Thema befasst und Sexarbeitende berät, finde ich die Berichterstattung skandalisierend und fernab der Realität.»

Der Bericht vermische die legale Sexarbeit und den illegalen Menschenhandel. Und: Die Diversität im schweizerischen Sexgewerbe werde ignoriert. «Manche Sexarbeitende arbeiten unter prekären, andere unter privilegierten Bedingungen. Man kann nicht von DER Sexarbeiterin sprechen.»

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«Unsere Gesetze sind für Frauen, die Prostitution freiwillig wählen.»
Aline Wüst, NGO Heartwings
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Keine lasche Gesetzgebung

Im Beitrag von The Sun wird suggeriert, dass die Schweiz eine Prostitutions-Hölle sei. Angelini: «Hört man den Sexarbeitenden zu, kommt man zu einem völlig anderen Schluss: Da die Sexarbeit in der Schweiz legal ist, haben Sexarbeitende Rechte und können sich gegen Missstände wehren.» So könne eine Prostituierte ihren nicht zahlenden Freier betreiben oder in Gewaltsituationen die Polizei holen. Und zur Kritik der «Sun» an den Sex-Boxen sagt sie: «Sie sind ein Erfolgsmodell, sie bieten den Frauen Schutz. Offensichtlich hat die Journalistin schlecht recherchiert und kennt die Fakten nicht.»

Die Kritik der «laschen Gesetzgebung» kann Angelini nicht nachvollziehen: «Die Schweizer Regulierung ähnelt der in Deutschland, Österreich oder Belgien. In Frankreich und Schweden hingegen werden Freier kriminalisiert. Das hat negative Auswirkungen auf die Situation der Sexarbeitenden, weil sich dadurch alles in den Untergrund verschiebt.»

Prostituierte wie eigene Mutter behandeln

Blick hat sich im Saunaclub Freubad in Recherswil SO umgehört. Bademeister Thomy (60) sagt, dass er immer wieder Gemunkel aus der Sexszene in Zürich und Genf höre – beide Städte werden im «Sun»-Artikel kritisiert. Doch in diesem Etablissement habe er keine schlechten Erfahrungen gemacht: «Es läuft hier immer sauber und korrekt – gegenüber dem Gast und der Dame.»

Die Prostituierte Simi (29) arbeitet seit zwei Jahren im Freubad. Die Arbeit mache sie, weil sie Geld für ihre Familie brauche. Simi stammt aus Rumänien und hat dort eine 14 Monate alte Tochter. Auch sie habe keine schlechte Erfahrung hier gemacht. Den Kunden, die ein Mädchen schlecht behandeln, wolle sie Folgendes mit auf den Weg geben: «Auch eine Prostituierte ist eine Frau. Behandelt das Mädchen so, als wäre es eure Mutter. Dann ist alles gut!»

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