Sozialethikerin Elke Mack kritisiert Schweizer Regelung
«Prostitution verletzt die Würde der Frauen»

Menschenhandel, Zwang oder ein gewöhnlicher Job wie jeder andere – das Thema Prostitution polarisiert. Aktuell wieder mehr. Wir haben mit einer Frau gesprochen, die sich damit auseinandergesetzt hat: die deutsche Sozialethikerin und Professorin Elke Mack (58).
Publiziert: 23.09.2023 um 15:41 Uhr
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Aktualisiert: 15.02.2024 um 10:47 Uhr
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Die Sozialethikerin: Elke Mack.
Foto: zvg
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft / Magazin

Zwei Lager streiten um ein Thema: Prostitution. Die einen fordern eine Kriminalisierung der Freier, die anderen gar nicht und pochen auf die Selbstbestimmung der Prostituierten. Anfang des Sommers entfachte ein Buch die Debatte neu: «Sexkauf – eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution.» Prostitution verstosse gegen die Menschenwürde – so das Fazit der Studie. Jetzt, wo das EU-Parlament es ähnlich sieht und gerade eine entsprechende Empfehlung beschlossen hat, wollen wir mehr wissen. Wir haben uns mit Elke Mack zusammengesetzt, Co-Autorin der Studie und Professorin für christliche Sozialwissenschaft und Sozialethik.

Frau Mack, Prostitution ist der älteste Job der Welt. Warum haben Sie ein Problem damit?
Elke Mack: Die Prostitution ist die letzte Bastion des Patriarchats. Frauen in der Prostitution erleben ein System der Gewalt und der sexuellen Ausbeutung.

Wie kommen Sie darauf?
Wir haben uns internationale Studien angesehen und mit Polizisten, Staatsanwälten, Psychiatern und Gynäkologen gesprochen. Sie sagten alle: Die meisten der Prostituierten sind Opfer von psychischem oder physischem Zwang.

Was sind das für Frauen, die sich prostituieren?
Die wenigsten sind Einheimische. Viele werden aus Osteuropa nach Deutschland verschleppt, andere aus Afrika. Und das Neuste: Frauen aus Asien. Bei ihnen funktioniert die Einschüchterung durch Zuhälter besonders gut. Die allermeisten dieser Frauen sprechen kein Deutsch, sind bitterarm und bildungsfern.

Die Sozialethikerin

Elke Mack (58) studierte katholische Theologie, Philosophie und Volkswirtschaftslehre. 2001 habilitierte sie in christlicher Sozialwissenschaft an der Universität Würzburg. Seit 2003 ist sie Professorin für christliche Sozialwissenschaft und Sozialethik an der Universität Erfurt. Sie forscht zu globaler sozialer Gerechtigkeit und rechtsphilosophischen Fragen. Im Juni lösten sie und der deutsche Jurist und Volkswirt Ulrich Rommelfanger eine Debatte aus. Dies mit dem Buch «Sexkauf – eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution». Elke Mack ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Foto: Tobias Koch (www.tobiaskoch.net)

Elke Mack (58) studierte katholische Theologie, Philosophie und Volkswirtschaftslehre. 2001 habilitierte sie in christlicher Sozialwissenschaft an der Universität Würzburg. Seit 2003 ist sie Professorin für christliche Sozialwissenschaft und Sozialethik an der Universität Erfurt. Sie forscht zu globaler sozialer Gerechtigkeit und rechtsphilosophischen Fragen. Im Juni lösten sie und der deutsche Jurist und Volkswirt Ulrich Rommelfanger eine Debatte aus. Dies mit dem Buch «Sexkauf – eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution». Elke Mack ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Salomé Balthus passt nicht in dieses Bild. Sie führt einen Escortservice und ist selbst Prostituierte. Sie sagt, sie mag ihren Job.
Mir geht es nicht um die Sexkauf-Lobby oder Leute, die selbst von der Prostitution anderer profitieren. Sie sprechen nicht für die Mehrheit der Frauen, die Freier verabscheuen und sich selbst kaum mehr achten können. Die deutschen Innenbehörden sagen uns, dass mindestens 90 Prozent der Prostitution unfreiwillig ist.

Dafür haben wir doch aber Gesetze für Zwangsprostitution und Menschenhandel. Reicht das nicht?
Freiwillige Prostitution und Zwangsprostitution lässt sich in der Praxis nicht unterscheiden. Studien bestätigen: Unfreiwillige Prostitution floriert in den Ländern am meisten, wo Bordelle und Prostitution erlaubt sind. Denn da explodiert der Sexkaufmarkt. In den USA werden touristische Reisen für Männer nach Deutschland angeboten, weil die Sexangebote so freizügig sind. Wir sind das Bordell Europas.

In der Schweiz gilt Prostitution als Arbeit wie jede andere – mit Arbeitsbewilligungspflicht, AHV, Steuern. Das sorgt doch gerade dafür, dass die Frauen geschützt sind.
Das war die Illusion des Gesetzgebers, mit dem Ergebnis, dass fast keine Frau in der Prostitution sozialversichert ist. Zehn Prozent sind in Deutschland angemeldet, der Rest lebt im Dunkelfeld. Ist das der Schutz, den Sie meinen?

Prostitution in der Schweiz

In der Schweiz ist Prostitution seit 1942 legal. Sie gilt als Beruf wie jeder andere, mit Sozialversicherung, Steuer- und Anmeldepflicht. Gemäss Schätzungen nimmt ein Fünftel der Männer einmal im Jahr sexuelle Dienstleistungen in Anspruch – für bis zu einer Milliarde Franken im Jahr. Ihnen stehen 13'000 bis 20'000 Prostituierte gegenüber. Genaue Zahlen gibt es nicht, da es schwierig ist, an die Involvierten heranzukommen. Gemäss dem Bund arbeiten die meisten Prostituierten in den Kantonen Bern und Zürich.

In der Schweiz ist Prostitution seit 1942 legal. Sie gilt als Beruf wie jeder andere, mit Sozialversicherung, Steuer- und Anmeldepflicht. Gemäss Schätzungen nimmt ein Fünftel der Männer einmal im Jahr sexuelle Dienstleistungen in Anspruch – für bis zu einer Milliarde Franken im Jahr. Ihnen stehen 13'000 bis 20'000 Prostituierte gegenüber. Genaue Zahlen gibt es nicht, da es schwierig ist, an die Involvierten heranzukommen. Gemäss dem Bund arbeiten die meisten Prostituierten in den Kantonen Bern und Zürich.

Auch in der Schweiz melden sich viele nicht an. Warum klappt das nicht?
Es muss daran liegen, dass sie Angst haben vor jenen, die das Geschäft kontrollieren. Sie arbeiten illegal, sind unter Zwang oder Opfer von Menschenhandel. Manche wissen nicht einmal, in welchem Land sie sich befinden.

Gibt es Belege dafür?
Ja, wir haben Zeuginnen und Expertenaussagen von Staatsanwaltschaft und Polizei. Die Macht ist bei denen, die das Gewerbe organisieren, und bei den Freiern. Die deutschen Innenbehörden gehen davon aus, dass der Prostitutionsmarkt von der organisierten Kriminalität dominiert wird. All das verletzt die Würde der Frauen.

Inwiefern?
Meine Würde und Selbstachtung kann ich mir nur bewahren, wenn ich die Freiheit habe, jederzeit Nein sagen zu können und Chefin des eigenen Körpers zu bleiben. Es geht darum, dass mich keiner dominiert oder regelmässig benutzt. Das ist nur ein Aspekt.

Und der andere?
Auch wenn eine Frau dem Sexkauf zustimmt, kann sie nicht sicher sein vor Gewalt, Misshandlung oder Vergewaltigung.

Das kann eine Frau auch nicht, wenn sie einen One-Night-Stand hat. Das Risiko besteht immer.
Ein One-Night-Stand ist ein anderer Fall. Da wählt die Frau ihre Partner aus und hat Vertrauen. Sie bestimmt, was sie will. Sie muss nicht alle Tage die Woche Dutzende von Freiern am Tag bedienen, um die Vorgaben eines Zuhälters zu erfüllen. Der Körper von Menschen ist nicht für diese sexuelle Überbeanspruchung ausgelegt.

Wie äussert sich diese?
Gynäkologen bestätigen schwere Verletzungen im Unterleib und in den angrenzenden Organen sowie viele sexuell übertragbare Krankheiten. Auch die Zahl der psychischen Erkrankungen unter Prostituierten ist extrem hoch, über 30 Prozent sind posttraumatische Belastungsstörungen. Die Traumaforscher sehen das sonst nur bei Kriegskombattanten und Folteropfern.

Das klingt brachial.
Es ist aber wahr. In unserem Buch «Sexkauf» haben wir aus Freierforen zitiert. Diese sind so schockierend, dass Google viele umgehend wegen der Aussagen zu sexueller Misshandlung, geschlechtsspezifischer Verachtung und Gewaltanwendung entfernt.

Haben Sie uns ein Beispiel?
Ich tue das ungern, aber, wenn es unbedingt sein muss: «Für mich ist eine Hure schlichtweg ein Stück, das mich zu befriedigen hat.» Oder: «Ich spritze meine Wochenladung auch am liebsten in ein wunderschönes Gesicht. Die Frauen mögen das überhaupt nicht. Umso besser finde ich das.»

Wie schafft eine Frau den Ausstieg aus der Prostitution?
Nur wenige schaffen es. Viele werden entsorgt, wenn sie körperlich und psychisch ausgelaugt sind, oft mit Ende 20. Illegale Migrantinnen, die keinen Aufenthaltsstatus haben, müssen in ihr Heimatland zurück. Nur wenn sie als Zeugen in Menschenhandelsprozessen aussagen, haben sie eine Chance zu bleiben. Sie leben in akuter Gefahr und sind wirklich die Ärmsten der Armen, mitten unter uns.

Das Europaparlament hat sich vor kurzem für ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten nordischen Modell ausgesprochen. Wie stehen Sie zu diesem?
Sehr positiv, denn in allen Ländern mit Sexkaufverbot sind Bordelle nicht mehr erlaubt. Dadurch ist der Menschenhandel massiv zurückgegangen. Wenn die Bestrafung für Freier hoch ist, sinkt ihr Interesse. Und das Beste: Das Bewusstsein der Männer für Sex auf Augenhöhe wächst, so wie die Achtung vor Frauen, wie wir es in Skandinavien sehen.

Prostitution: Das nordische Modell

Das nordische Modell ist auf die Freier fokussiert, nicht auf die Prostituierten. Gemäss dem Modell macht sich die Person strafbar, die für Sex bezahlt. Hinzu kommt ein Paket von Massnahmen, die die Frauen unterstützt. Dazu gehören Ausstiegshilfen, aber auch Prävention. Als erstes Land führte Schweden das Modell 1999 ein. Später folgten Norwegen, Island, Kanada, Nordirland, Frankreich, Irland und Israel. In der Schweiz lehnte das Parlament 2022 eine Motion von Marianne Streiff-Feller (EVP), die ein solches Sexkaufverbot verlangte, ab.

Das nordische Modell ist auf die Freier fokussiert, nicht auf die Prostituierten. Gemäss dem Modell macht sich die Person strafbar, die für Sex bezahlt. Hinzu kommt ein Paket von Massnahmen, die die Frauen unterstützt. Dazu gehören Ausstiegshilfen, aber auch Prävention. Als erstes Land führte Schweden das Modell 1999 ein. Später folgten Norwegen, Island, Kanada, Nordirland, Frankreich, Irland und Israel. In der Schweiz lehnte das Parlament 2022 eine Motion von Marianne Streiff-Feller (EVP), die ein solches Sexkaufverbot verlangte, ab.

Und warum tut es das?
In einem Land, in dem es keine Prostitution gibt, gelten Frauen nicht als käuflich. Ausserdem werden beispielsweise in Frankreich Freier nach der Zahlung ihrer Strafe noch in Schulungen aufgeklärt, wie stark sie durch ihre Taten Frauen verletzten. Erst bei einem Sexkaufverbot ist es auch nicht mehr gängig, Feste unter Männern im Bordell zu verbringen oder Sex neben Beziehungen und Ehen einfach zu kaufen. Das schafft Achtung und Bewusstsein für die Gleichheit aller.

Doch es besteht die Gefahr, dass sich die Prostitution in den Untergrund verlagert.
Nein. Das verbreitet die Sex-Lobby. Zurzeit existiert ein 90-prozentiges Dunkelfeld. In Ländern mit dem geeigneten nordischen Modell gibt es dies nachweislich nicht.

Sicher? Sie könnte locker in die Tiefen des Internets abwandern, dort ist alles möglich.
Polizeibeamte sagen mir, dass dort, wo Freier digital Prostituierte suchen, sie selbst auch jederzeit Zugriff haben. Diejenigen, die Sex kaufen, und diejenigen, die durch Prostitution Frauen ausbeuten, bringen Vorwände, um ein Sexkaufverbot zu verhindern.

Nicht nur. In einem Schreiben ans EU-Parlament haben Sexworkerinnen-Organisationen, Human Rights Watch und Amnesty International die Parlamentarier aufgefordert, gegen den Beschluss zu stimmen. Sie fürchten um die Selbstbestimmung der Frauen. Ein berechtigtes Anliegen.
Es gibt heute ein neues, liberales Verständnis von Sex und weiblicher Lust. Und gleichzeitig ein neues Bewusstsein für sexuelle Gewalt. Doch einen prostitutiven Akt, indem sich ein Mann einseitig, ohne Rücksichtnahme, an einer Frau befriedigt, schauen wir uns nicht an. Das ist nach wie vor ein Tabu, das wir nicht scheuen dürfen. Denn hier ist die sexuelle Selbstbestimmung der Frau am Ende.

Der EU-Beschluss ist für die Staaten nicht bindend, was nützt dieser überhaupt?
Die Menschenrechte sind auch nicht bindend, sollen wir sie deshalb ignorieren? Das EU-Parlament belegt, dass Prostitution ein Gewaltsystem ist und gegen die Menschenwürde und die Menschenrechte verstösst.

Inwiefern?
In Staaten, die den Sexkauf legalisiert haben, zeigt sich dies. Dort gibt es zehnmal mehr Menschenhandel als in Ländern mit einem nordischen Modell. Alle EU-Staaten werden deshalb aufgefordert, ein Sexkaufverbot zu etablieren. Ich bin davon überzeugt, dass sie es mittelfristig auch tun werden.

Im Schweizer Parlament scheiterte vergangenes Jahr ein Vorstoss für das nordische Modell. Woran liegt das?
Zivilisatorische Fortschritte brauchen Zeit. Eine liberale Gesellschaft hat einen Ballast an patriarchalen Traditionen, die sie noch ablegen muss. Viele westliche Gesellschaften haben bereits verstanden, dass in Ländern ohne Sexkauf Frauen eine ganz andere gesellschaftliche Stellung besitzen. Denn die Männer müssen um sie werben. Das schafft Respekt. Ich würde dies den Schweizer Frauen genauso wünschen wie den deutschen.

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