Astrid Mühlebach (55) scheint es zu geniessen, dass sie an diesem Dienstagnachmittag im Mittelpunkt steht. Sie spricht, ihr Gatte schweigt. Sie redet auch die angereiste SVP-Prominenz an die Wand. In ihrem stattlichen Einfamilienhaus, Hanglage mit Aussicht, empfangen die Mühlebachs Präsident Marcel Dettling (43), Parteileitungsmitglied Sandra Sollberger (50) und den stellvertretenden Generalsekretär Peter Keller (53).
Die Gastgeberin ist ganz aus dem Häuschen. Sie könne kaum glauben, dass ihr jetzt so viel Ehre zuteil werde, sagt die Postangestellte, Mutter, Ehefrau und umtriebige Einwohnerin von Mosen, einem zu Hitzkirch gehörenden Dorf im Luzernischen. Dort, am südlichen Ende des Hallwilersees, präsidiert sie den Verkehrsverein und engagiert sich in der lokalen SVP. Und ist nun auch noch stolze Preisträgerin. Wie kam es dazu?
Ein gefundenes Fressen für die Parteistrategen
In ihrem Wohnort hatte Mühlebach erfolgreich die Umwidmung des einstigen Schulhauses zum Asylzentrum bekämpft. Für die SVP-Strategen war das ein gefundenes Fressen: Eine aus dem Volk stemmt sich mit ihren Mitstreiterinnen gegen die Obrigkeit. Eine David-gegen-Goliath-Story, Demokratie von unten nach oben sozusagen, mit einem Touch Rebellion, ganz im Einklang mit der Lieblingserzählung der Partei.
Mehrfach hatte die resolute Einwohnerin im Dorf darauf beharrt, das alte Schulhaus stehe den örtlichen Vereinen zu: «Wo sollen wir denn sonst hin?», fragt sie. «Der Verkehrsverein Mosen muss sich in Mosen treffen. Wir können doch nicht einfach in die Nachbargemeinde ausweichen.» Gegen FDP und Mitte stellte sie eine Initiative auf die Beine: Schul-, Sport- und Freizeitanlagen dürfen nicht als Asylunterkünfte dienen – an der Gemeindeversammlung im März errang sie damit einen weit beachteten Sieg.
Ein Vorbild für Europas Rechtspopulisten
Sie habe nichts gegen Ausländer oder gegen Schutzsuchende, beteuert sie. Sie habe sogar selbst nach einer Alternative für die Flüchtlinge gesucht und das leer stehende Hotel Kreuz vorgeschlagen – das in den Augen der kantonalen Behörden aber nicht den Standards genügte. Süffisant fügt ihr Mann an, dass dort heute Arbeiter wohnen.
Nun also wird die beflissene Parteigängerin an diesem Nachmittag gekürt. Was Kritiker als reine Inszenierung abtun dürften, ist letztlich auch Ausdruck des ebenso beeindruckenden wie Argwohn erweckenden Antriebs der 30-Prozent-Partei, ihr Politmarketing immer weiter eskalieren zu lassen. Mit der Albisgüetli-Tagung, einem Konzept, das Christoph Blocher 1989 nach dem Vorbild des Politischen Aschermittwochs bei der bayerischen CSU abkupferte, setzte die Partei neue Massstäbe in der Schweiz. Streitbare Sujets wie das Schäfchen-Plakat wurden europaweit von Rechtsparteien übernommen.
Migrationsströme kann auch die SVP nicht stoppen
Vor allem war und ist die von Patron Blocher geformte Bewegung Vorreiterin im Migrationsdossier – keine andere Rechtspartei auf dem Kontinent hat so früh und so forsch die Schattenseiten der Einwanderung ausgeschlachtet. Problembewirtschaftung nennen es die Gegner. Man nehme eben die Sorgen der Leute ernst, heisst es darauf in der SVP. Sicher ist: In keinem anderen Bereich erhält die SVP mehr Zuspruch von der Stimmbevölkerung, nirgends sonst politisiert der Staat weiter an Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei.
Auf Gemeindeebene, im Schul-, Sozial- und Finanzwesen, spüren die Steuerzahler die Auswirkungen der Einwanderungs- und Asylpolitik am stärksten. SVP-Erfolge wie die Ausschaffungs- oder die Masseneinwanderungs-Initiative sind die Quittung. Die globalen Flüchtlings- und Migrationsströme indes kann auch das radikalste Volksbegehren nicht stoppen. Die Suppe auslöffeln müssen Bund und Kantone, die dem nationalen und internationalen Recht verpflichtet sind und im Land nach Flüchtlingsunterkünften suchen müssen.
Übermütig, für Kritiker gar anmassend wirkt vor diesem Hintergrund der Name der neu geschaffenen Auszeichnung: «Prix Résistance» heisst die Trophäe, Preis des Widerstands. Sie soll künftig jedes Jahr an Bürger verliehen werden, die sich auf kommunaler Ebene gegen unbotmässige Behördenentscheide auflehnen.
Beim «Prix Résistance» handelt es sich um eine handgeschnitzte Holzfigur in Form einer Eringerkuh, der alten heimischen Rinderrasse – unschweizerisch wirken an diesem Nachmittag nur die hohen Temperaturen. Das Werk ist als Wanderpreis gedacht. 2025 wird Mühlebach die Tier-Trophäe an ihren Nachfolger weiterreichen müssen.
Beat Jans' familiäre Wurzeln im Blick
Die Idee für die Aktion kam Nationalrätin Sollberger bei einer Parteiklausur. Erkennbar ist auch die Handschrift des Hausintellektuellen Peter Keller. So prangt auf der Urkunde etwas pathetisch ein Zitat aus Schillers «Wilhelm Tell»: «Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.»
Laut Parteipräsident Dettling soll sich der Preis nicht zwingend auf Migrationsthemen beschränken. Es sei auch denkbar, dass jemand im Zusammenhang mit Gender- oder Klimapolitik ausgezeichnet werde. Die Aktion solle zeigen, «dass in diesem Land die Macht von unten kommt, aus der Bevölkerung, aus den Gemeinden. Und nicht von Bundesbern», sagt er zu Blick.
Bundesbern spielte am Dienstag ebenfalls eine Rolle, allerdings auf kuriose Art: Beat Jans (60) ist Bürger von Hitzkirch und hat familiäre Wurzeln in Mosen. Die Mühlebachs deuten auf einen Bauernhof mit rotem Dach. Da unten ist der Vater von Jans aufgewachsen. Und der heutige SP-Asylminister verbrachte dort viele Tage seiner Kindheit. «Als Bub war ich oft zu Besuch in Mosen», sagte der Magistrat nach seiner Wahl.