Praxiskette pleite
Gebt mir meine Patientendaten zurück!

Blutdruck, Herz, Nieren, Darm: Ein Beobachter-Journalist sucht seine Patientendaten – weil eine Praxiskette in Konkurs ging. Und landet bei einer Gynäkologin.
Publiziert: 27.02.2025 um 16:12 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2025 um 22:38 Uhr
In Konkurs: Allcare-Hausarztpraxis in Zürich-Altstetten
Foto: Beobachter

Auf einen Blick

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Peter Johannes Meier
Beobachter

40, 30, 20, ab zur Apotheke! So lief es seit Jahren. Wenn nur noch 20 Pillen im Blister übrig waren, kaufte ich neue. Es geht um Bluthochdruck. In Massen gehört der zum Journalismus, man muss sich noch aufregen können. Bei mir bleibt er zu hoch. Gesunde Ernährung und viel Bewegung sollen helfen. Dazu viele Vorsätze – und der Blutdrucksenker.

Diesmal blockte die Apothekerin. Das Rezept sei abgelaufen. Bisher war das kein Problem. Ein Anruf bei meiner Hausärztin genügte, und ein neues Rezept landete im Mail-Eingang. Manchmal mit einem Aufgebot zur Kontrolle.

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Bei Allcare antwortet der Beantworter

Doch kein Mensch nahm den Anruf entgegen. Nur ein automatischer Beantworter: «Die Allcare Hausarzt-Zentren AG ist aufgelöst worden. […] Seien Sie versichert, dass wir alles daransetzen, die Praxen bald wieder zu öffnen. Sobald wir Neuigkeiten haben, melden wir uns bei Ihnen.»

Das war im vergangenen Oktober. Und so tönt es immer noch. Manche Patienten warten bis heute auf Neuigkeiten. Doch die Praxiskette wird nicht mehr öffnen. Sie ist pleite – nicht der erste Fall.

Zu teure Ärzte

«Wir haben schlicht keine Ärztinnen und Ärzte mehr gefunden, um unsere Infrastruktur genügend auszulasten», begründet Anton Widler den Konkurs seiner Zürcher Allcare-Praxen gegenüber dem Beobachter. Der ehemalige Verwaltungsratspräsident kritisiert die steigenden Ansprüche der Ärzte: «Sie wollen immer mehr verdienen und gleichzeitig weniger arbeiten.»

Eine ausgewogene Work-Life-Balance und «Nine to Five» seien im Zentrum der Gespräche gestanden. Eine Übernahme der Praxen durch die Ärzte selbst sei an der fehlenden Bereitschaft gescheitert, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.

Die Apothekerin ist gnädig

Ich erklärte es der Apothekerin. Auch, dass ich noch keinen neuen Arzt habe. «Ausnahmsweise» erhielt ich die Pillen auch ohne Rezept. Eine gute Apotheke.

Doch wo sind meine Patientenakten? Die vielen Blut- und Urintests, die Untersuchungen beim Kardiologen, der Ultraschall meiner Niere, die Tunnelfahrten durch meinen Darm? Alles teure Bilder. Ein akutes Problem habe ich nicht. Doch was, wenn ich dringend behandelt werden müsste? Mit der Pleite der Praxis verschwanden auch die Ärzte, die rechtlich für die Verwaltung und Weitergabe der Patientenakten zuständig wären.

«Ich habe keinen Zugriff mehr auf Ihre medizinischen Daten»

Im Januar dann eine Mail meiner ehemaligen Hausärztin. Sie arbeite jetzt für eine andere Praxiskette. «Ich habe keinen Zugriff mehr auf Ihre medizinischen Daten. Ich bitte Sie, sich selbst an eventuelle Empfehlungen zu erinnern», schrieb sie. Schön, dass sie sich meldete. Aber mein Blutdruck tat das auch. Wer hat meine Akten?

An der Eingangstür der ehemaligen Praxis hing ein Zettel. Darauf stand, ich könne eine Liste der verschriebenen Medikamente in einer anderen ehemaligen Filiale abholen. Eine Liste, kein Rezept.

Es war mein erster Besuch in einer gynäkologischen Praxis, die dort neu eröffnet wurde. Keine irritierten Blicke, ich wurde nett empfangen. Und nach dem Ausfüllen eines Formulars des Konkursamtes und dem Vorweisen meiner ID erhielt ich einen Zettel mit dem Namen meines Blutdrucksenkers. Was ich damit tun soll, ist mir bis heute ein Rätsel. Der Name steht ja auch auf dem abgelaufenen Rezept und auf der fast leeren Packung.

Eine Recherche im Internet senkt zwar nicht den Blutdruck. Sie hilft aber weiter, sofern man der deutschen Sprache mächtig ist. Wer nach «Konkurs» und «Allcare» sucht, stösst auf die Website der Notariate des Kantons Zürich. Und wer die vielen Infos über die laufende Liquidation überspringt, findet einen Hinweis, wie man an Patientendossiers gelangen könne. Ich dachte an die Patientinnen in meiner ehemaligen Allcare-Filiale in Zürich-Altstetten. Viele Migrantinnen, manche sprachen kaum Deutsch.

Bis heute keine Akten erhalten

Über einen Link landet man in einem PDF-Dokument, wo ein weiterer Link zu einem Formular der Firma Archivsuisse AG führt. Die hat sich mit dem Aufbereiten von Akten aus Pleitepraxen in mehreren Kantonen einen Namen gemacht.

Wenn man das Formular ausfüllt und eingescannte oder kopierte Identitätsbelege hinzufügt, sollen die Akten innerhalb von zehn Tagen zugestellt werden. Als Empfänger soll ich allerdings einen Arzt angeben. Den hatte ich ja nicht. Aber ein Recht auf meine eigenen Akten, so viel war mir bekannt. Ich verlangte darum in einer Begleitmail die Zustellung des Dossiers an mich selbst.

Über drei Wochen sind seither vergangen. Weder die Akten noch eine Bestätigung meines Antrags sind eingetroffen. Vor wenigen Tagen habe ich endlich einen neuen Arzt gefunden. Nach einem kurzen Gespräch fragte er mich: «Haben Sie Ihre Patientenakten?»

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