Auf einen Blick
Wie die Mafia-Gehilfen über die Schweiz operierten
Warum sie Autos mit Schweizer Nummernschildern hatten
Wo sich die Spuren des verschwundenen Unternehmers verlieren
Vor rund zwei Wochen hat die Staatsanwaltschaft in Brescia in der Lombardei Untersuchungshaft gegen ein Mitglied der 'Ndrangheta sowie einen Mittelsmann angeordnet. Zwei Komplizen der beiden wurden unter Hausarrest gestellt. Die 'Ndrangheta ist die gefürchtetste Mafia in Kalabrien.
Die Staatsanwaltschaft in Brescia wirft den vier Männern schwere Finanzdelikte vor. Wie aus Untersuchungsakten hervorgeht, operierten die Männer über die Schweiz. Das Geld floss zwischen der Lombardei, dem Tessin und der Deutschschweiz. Offenkundig wird das, weil ein italienischer Unternehmer seit dreieinhalb Jahren vermisst wird und die Ermittlungen zu den nun Verhafteten führten.
Das Unheil begann am 3. Juli 2021, als Debora Lamberti den Carabinieri in Monza meldete, ihr 72-jähriger Vater Pasquale sei verschwunden. Dieser stammt aus Crotone in Kalabrien und hatte sich vor Jahren in der Gegend von Mailand niedergelassen. Der Unternehmer leitete zwei Firmen, die trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten florierten: die Cadel Srl in Monza, die sich seit Jahrzehnten in Familienbesitz befand, sowie deren Tochtergesellschaft, die UCL Spa in Brescia, an der zusätzlich ein Minderheitsaktionär beteiligt war.
Verhängnisvoller Kontakt
Um die Zukunft der Firmen und seiner Familie zu sichern, hatte sich Lamberti 2019 zu Zahlungen in einen Investmentfonds in Prag verleiten lassen. Ab Oktober 2019 überwies er umgerechnet über 2,5 Millionen Franken in das Finanzvehikel. Davon überzeugt hatte ihn der Broker Claudio M., der Lamberti hohe Gewinne versprochen hatte.
Lambertis Bekannter zweigte das Geld jedoch zugunsten der 'Ndrangheta ab, wie sich nun herausstellt. Und Claudio M. ist den lombardischen Behörden wegen seiner Nähe zur Mafia bekannt. Er war früher wegen Mordes, Drogenhandels und Diebstahls verurteilt worden.
Schweizer Dienstleistungen
Nach wie vor unter dem Einfluss von Claudio M., suchten Lamberti und seine Tochter im Herbst 2020 einen Notar in Chiasso auf und verkauften alle Aktien an ihren Firmen an eine Schweizer Dienstleistungsgesellschaft mit Sitz in St. Gallen. Diese wurde von einem in Monza ansässigen Italiener vertreten, einem Strohmann von Claudio M.
Der Millionenbetrag wurde nie über die Konten der St. Galler Firma bezahlt.
Das Unternehmen in Brescia gelangte in den Besitz einer Schweizer Gesellschaft, die Führung übernahmen zwei italienische Vertraute von Claudio M. Dieser hatte keine Funktion inne, agierte aber im Auftrag eines Angehörigen der lokalen 'Ndrangheta. Dieser war in der Firma in Brescia offiziell als Verkaufsassistent angestellt.
Mitte Juli 2021, wenige Tage nach Lambertis Verschwinden, wurde die Dienstleistungsgesellschaft im Handelsregister von St. Gallen gelöscht und in eine Holding umgewandelt, die in Zürich unter dem Namen des italienischen Unternehmens registriert wurde. Nacheinander leiteten vier von Claudio M. eingesetzte Deutschschweizer Treuhänder die Firma. Zwei Jahre später wurden 98 Prozent der Gesellschaft an eine Finanzplattform verkauft, die restlichen 2 Prozent an eine Firma in Apulien. Damit war das Vermögen Lambertis aufgelöst.
Schweizer Autonummern
Die Justiz in Brescia leitete nach dem Verschwinden Lambertis Untersuchungen aufgrund der finanziellen Transaktionen ein. Die Ermittlungen zeigten, dass mindestens zwei der von Claudio M. mandatierten Treuhänder seine Komplizen waren. Sie besorgten für ihn und den Mafiaboss in der Schweiz zugelassene Autos sowie Schweizer Handynummern. So wollte sich die Bande den Ermittlungen in Italien entziehen, wie es in einem Beschluss des Gerichts in Brescia heisst.
Mehrere der Autos waren im Kanton Schwyz registriert. Genau dort befindet sich eine Firma, die Luxusautos vermietet und deren italienischer Chef an den Machenschaften der Bande in der Schweiz beteiligt war. Dieser war es auch, der Claudio M. mit mindestens zwei der Schweizer Komplizen in Verbindung gebracht hatte.
Bewilligung im Kanton Zürich
Claudio M. und seine zwei italienischen Vertrauten waren in der Schweiz geschäftlich aktiv. Der eine führte das St. Galler Dienstleistungsunternehmen, das Lambertis Firma in Brescia kaufte. Der andere leitete eine IT-Firma in Lugano, die dann Konkurs ging.
Obwohl Claudio M. durch einen umfangreichen Strafregisterauszug belastet war, erhielt er 2021 eine Bewilligung, sich im Kanton Zürich aufzuhalten und zu arbeiten. Er hatte eine B-Bewilligung. In Erscheinung trat er über eine in Zürich registrierte Firma.
Seit dem Verschwinden Lambertis ermittelt die Justiz aufgrund einer Anzeige der Unternehmerfamilie auch «wegen Freiheitsberaubung zum Zwecke der Erpressung» gegen Claudio M. Dieser wollte deshalb in die Vereinigten Arabischen Emirate fliehen, wie er einem Vertrauten, einem ehemaligen Polizisten, verriet. Doch die Staatsanwaltschaft vereitelte nun diesen Plan und setzte Claudio M. in Untersuchungshaft.
Lange Vorgeschichte
Es stellt sich die Frage, wie Lamberti in die Fänge von Claudio M. geraten war. Offensichtlich ängstigten ihn Drohungen und die Macht des Mafia-Netzwerks. Wie Recherchen von Blick zeigen, war Lamberti bereits im Jahr 2001 von der 'Ndrangheta erpresst worden. Er hatte grosse Summen bezahlt und aus Angst vor Rache in früheren Untersuchungen keine Aussagen gemacht.
Zuletzt wurde der verschwundene Lamberti in der Provinz Mailand gesehen. Die Carabinieri fanden in Besate sein leeres Auto. In der Wohnung fanden sie einen Zettel mit dem Hinweis: «Sehen Sie sich die Notizen auf meinem Telefon an.» In einer Nachricht auf dem Handy stand: «Ich bin in Lebensgefahr.» Claudio M. und einer seiner Komplizen seien für sein Verschwinden und seinen finanziellen Ruin verantwortlich. Und weiter: «Wenn ihr diese Nachricht lest, bedeutet das, dass ich nicht zurückkomme. Ich liebe euch.»
Solange Lamberti verschollen bleibt und seine Leiche nicht gefunden wird, drohen den Verdächtigten lediglich Strafen wegen Finanzdelikten. Für sie gilt die Unschuldsvermutung.