Klaus Mayer (60) ist Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Diplom-Psychologe und wissenschaftlicher Experte für Kriminal- und Rückfallprävention bei Straftätern. Die Wiedereingliederung von Straftätern sei herausfordernd, könne aber gelingen, wie er im Blick-Interview sagt.
Von der Sicherheitshaft direkt in die Freiheit. Ein wohl beispielloser Vorgang in der Schweizer Justizgeschichte. Vor welchen Herausforderungen stehen die Behörden in solch einem Fall?
Klaus Mayer: Ich kann das nur von aussen betrachten. Aus meiner Sicht muss er jetzt sorgfältig begleitet werden. Die Begleitung muss auch so laufen, dass er sie akzeptiert. Die grosse Kunst des Sozialarbeiters ist es, sich als unterstützende Ressource zu zeigen und nicht als weitere Gängelung durch den Staat.
Für die Reintegration sind Freunde und Verwandte wichtig. Nach sieben Jahren im Gefängnis wird – vor allem – Ersteres weggebrochen sein.
Das Wichtigste in so einer Situation ist eine feste Tagesstruktur. Man muss einen Grund haben, aufzustehen und ein Ziel im Leben haben. Unstrukturierte Freizeit wäre fatal. Wichtig ist, die, Tage, Abende und Wochenenden mit Sinn zu füllen. Brian plant konkret, Kampfsportler zu werden. Da gibt es viele Möglichkeiten zur Resozialisierung.
Kampfsport kann in diesem Kontext hilfreich sein. Aggressionen werden kanalisiert und in der Arena oder im Training entladen – statt im Alltag. Kann ein solches Setting für Straftäter mit Aggressionstendenzen helfen?
Das kann man nicht pauschal sagen. Es ist immer wichtig, zu schauen, welche Art von Kampfsport für welche Person hilfreich ist. Wenn jemand Probleme mit der Kontrolle seiner Aggression hat, kann es hilfreich sein, in ein Dojo-Kampfsportcenter zu kommen, wo die Maxime lautet «Jeder nicht geführte Kampf ist ein gewonnener Kampf.» Es kann aber auch das Gegenteil passieren. Die Philosophie und die Rahmenbedingungen sind hierbei wichtig.
Brian kam als Jugendlicher in Haft. Nach sieben Jahren…
(unterbricht) Und dann noch eine lange Einzelhaft…
Nach sieben Jahren kommt er frei. Eine Ewigkeit, speziell für Jugendliche. Was bedeutet das für einen Menschen und wie kann man nach einer so langen Zeit mit der gewonnenen Freiheit umgehen?
Bei längerer Einzelhaft kann vieles passieren. Es gibt Leute, die Störungen entwickeln: Depressionen, Niedergeschlagenheit oder gar Angststörungen. Von aussen betrachtet glaube ich aber nicht, dass dies auf Brian zutrifft. Ich glaube – vom Schiff aus betrachtet –, er hat während der Einzelhaft als Kraftquelle eine Wut auf das System entwickelt. Nicht unbedingt aus böser Absicht. Sondern, weil dies seine psychische Überlebensstrategie war.
Brian wird wiederum in ein Setting kommen, bei dem er rund um die Uhr betreut wird. Genau wie vor seiner Verhaftung. Waren die sieben Jahre umsonst?
Wir stehen aktuell an der gleichen Stelle wie vor sieben Jahren. Das Leben schreibt letztendlich die verrücktesten Drehbücher. Eine Hochsicherheits-Unterbringung kostet den Steuerzahler deutlich mehr als eine Präventionsmassnahme. Letztere ist zudem auf lange Sicht gesehen effektiver. Als Gesellschaft sollten wir deshalb immer alles versuchen, um zu verhindern, dass ein junger Mensch in Haft landet.
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