Der landesweit bekannte Strafgefangene Brian Keller (28) alias Carlos muss sich seit Montag einmal mehr vor Gericht verantworten. Er ist wegen rund 30 mutmasslichen Delikten angeklagt, die er in der Strafanstalt Pöschwies in Regensdorf ZH begangen haben soll.
Am Dienstag wurde der Prozess gegen Brian fortgesetzt. Sein Anwalt kritisierte dabei die jahrelange Einzelhaft als massive Verletzung des Völkerrechts. Erlaubt seien maximal 15 Tage Isolation.
Brian sass von August 2018 bis Januar 2022 in Einzelhaft. «Das ist klar eine Menschenrechtsverletzung», sagte sein Anwalt. Der «Reizentzug» und die tödliche Perspektivlosigkeit hätten sich bei Brian in Ausfälligkeiten und Sachbeschädigungen geäussert.
Ursache für sein Verhalten sei also das rigide Haftregime des Zürcher Justizvollzugs gewesen. «Wenn Brian in der falschen Tonlage furzte, stand ja die Einsatztruppe Diamant vor der Tür», so sein Anwalt. Er sei nicht das Monster, als das er von Staatsanwaltschaft und Medien dargestellt werde.
Finanzielle Wiedergutmachung gefordert
«Brian braucht nur eine Chance, er wird sie nutzen. Lassen Sie ihn frei», sagte Brians Anwalt in seinem Plädoyer. Für die rund 30 Delikte, wegen denen Brian erneut vor Gericht steht, ist gemäss dem Anwalt ausschliesslich die Isolationshaft verantwortlich.
«Er musste in der Isolationshaft im Gefängnis Pöschwies irgend eine Beschäftigung finden und sich Reize schaffen.» Dies habe er geschafft, indem er die Wärter beschimpft und Dinge beschädigt habe. Nur dieser Widerstandswille habe ihn vor dem Wahnsinn gerettet.
Nun fordere der Staatsanwalt «für eine Liste von Bagatelldelikten» aber eine Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 7 Monaten. Das sei völlig überrissen. «Der Staat führt Krieg gegen Brian, weil er seine Andersartigkeit nicht akzeptieren kann», sagte der Anwalt weiter.
Das Anwaltsteam fordert die Freilassung sowie eine finanzielle Wiedergutmachung, die unter Umständen in die Millionen gehen könnte. Die Anwälte beziehen sich dabei auf Präjudiz-Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR. Gemäss diesen wird jeder Tag Folter mit 2000 Franken entschädigt. Für die Anwälte stellt die Isolationshaft über eine so lange Zeit klar Folter dar.
Kein Auftritt vor Gericht
Erscheinen wird Brian vor Gericht nicht. Brian hatte vergangene Woche ein Gesuch um Dispensation gestellt, das vom Bezirksgericht Dielsdorf bewilligt wurde. Eine Befragung zu seiner Person und zu den Delikten findet somit nicht statt. Reden werden ausschliesslich die Staatsanwaltschaft und Brians Anwälte. Brian bleibt in seiner Zelle.
Die Anklage fordert, Brian soll eine weitere Freiheitsstrafe von fast zehn Jahren erhalten. Dies hat der Staatsanwalt am Montag vor dem Bezirksgericht Dielsdorf gefordert. Die Anwälte beantragen seine Freilassung.
Seit bald zwei Jahren sitzt Brian nicht mehr in Isolationshaft im Gefängnis Pöschwies, sondern im Gefängnis Zürich. Gemäss Rapporten ist er dort angepasst, höflich und korrekt. Brian knüpft Kontakte zu Mithäftlingen, hält sich an Abmachungen und akzeptiert auch mal ein «Nein», zumindest meistens.
Haftbedingungen hätten aggressives Verhalten verschärft
Der Gutachter, der im Auftrag des Zürcher Obergerichts Brians Haftbedingungen untersuchte, hat vor dem Bezirksgericht Kritik am Justizvollzug geübt. Die Haftbedingungen hätten das aggressive Verhalten von Brian erheblich verschärft.
Gewisse Einschränkungen seien zulässig, etwa zum Schutz für andere Personen, sagte der Gutachter. Die Institution, in diesem Fall das Gefängnis Pöschwies, müsse aber «alles Mögliche unternehmen, um die Standards» einzuhalten. Dies sei nur unzureichend getan worden. Eine Einzelhaft von dreieinhalb Jahren sei menschenrechtlich verboten.
Brian ist angepasst, aber «kein anderer Mensch»
Ein zweiter Gutachter hat Brians jüngste Entwicklung im Gefängnis als positiv beschrieben. Der 28-Jährige sei mittlerweile angepasst, höflich und korrekt. Eine allfällige Freilassung stelle dennoch «ein grosses Experiment» dar.
«Er kann sich an Situationen anpassen, aber er ist kein anderer Mensch», sagte der Gutachter. Zwar könne Brian soziale Kontakte knüpfen und akzeptiere heute auch ein «Nein». Dennoch sei seine Persönlichkeitsstruktur nicht verändert, da er sich Therapien verweigere. Dies zeigte sich etwa im Mai, als die Aufseher Brians Handy konfiszierten. Er hatte immer wieder Videos auf Instagram und TikTok gestellt und sich so eine beachtliche Fangemeinde aufgebaut. Als sein Handy eingezogen wurde, stiess er Drohungen aus und beschädigte Gegenstände – allerdings ging er nicht auf Menschen los.
Reihe von Übergriffen und Delikten
Er forderte für 30 Angriffe auf Aufseher und Mithäftlinge in der Pöschwies eine Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 7 Monaten. Beim schwersten neu angeklagten Delikt, einer versuchten schweren Körperverletzung, soll Brian eine Glasscherbe in Richtung eines Aufsehers geworfen haben. Dieser wurde oberhalb des Auges verletzt.
Daneben geht es um drei einfache Körperverletzungen, sieben Sachbeschädigungen, fünf Drohungen und 19 Fälle von Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. Weil Brian schon seit Jahren im Gefängnis sitzt, hätte er aber selbst die beantragte Strafe von fast zehn Jahren bald zu zwei Dritteln abgesessen. Theoretisch könnte er dann bedingt entlassen werden.
Allerdings ist noch ein weiteres Verfahren gegen ihn hängig: Das Obergericht klärt aktuell mit Hilfe von Gutachtern ab, ob der 28-Jährige vor allem wegen der rigiden Haftbedingungen aggressiv wurde. Erst Mitte 2024 oder noch später dürfte das Obergericht dieses neue Urteil fällen.
Dort geht es um weitere 6 Jahre und 4 Monate, ebenfalls wegen Delikten in der Pöschwies. Es ist gut möglich, dass er dann wieder ins Gefängnis muss – oder bis Mitte 2024 gleich im Gefängnis bleibt, wenn das Gericht dies angezeigt findet.
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Seine Anwälte fordern einen Freilassung sowie rund 2,5 Millionen Franken Genugtuung und Schadenersatz für die «Horror-Haftbedingungen» in absoluter Isolation. Brian habe lediglich auf die jahrelange Isolationshaft und auf die rassistische und bösartige Behandlung reagiert. Die Einzelhaft sei zudem erwiesenermassen verboten gewesen. «Deshalb durfte er sich wehren.»
Schuldspruch und Strafmass am 8. November
Die Angriffe auf Gefängnismitarbeitende und Mitgefangene soll Brian gemäss Anklage in der Zeit vom November 2018 bis Juni 2022 verübt haben. Der Prozess dauert voraussichtlich zwei Tage.
Der Prozess wird dabei nicht so durchgeführt, wie sich die Staatsanwaltschaft es erhofft hatte. Sie beantragte beim Bezirksgericht eine Aufteilung des Verfahrens. Vor einer Urteilseröffnung mit Verkündigung des Strafmasses müsse zuerst die Grundsatzfrage geklärt werden, ob Brian die Delikte wegen seiner rigiden Haftbedingungen beging. Die Staatsanwaltschaft wollte dazu zuerst ein weiteres Urteil des Obergerichtes abwarten.
Das Urteil wird am 8. November eröffnet. (SDA)