Die Stimmung von Aline Kronig-Schmid (32) war schon besser. «Ich habe ein schlechtes Gefühl», sagt sie im Gespräch mit Blick. Die Inhaberin einer der grössten Physiotherapiepraxen im Oberwallis in Brig-Glis VS mit neun Angestellten hoffte lange darauf, dass es für ihren Berufsstand zukünftig mehr Geld geben sollte. Doch das Gegenteil ist der Fall: Sparen! Kronig-Schmid sagt: «Seit Jahren arbeiten wir mit der gleichen Tarifstruktur, hatten eigentlich auf eine Erhöhung gehofft. Und nun kommt dieser Schlag ins Gesicht.»
Hintergrund: Vor gut einer Woche kündigt der Bundesrat an, dass er bei der ambulanten Physiotherapie sparen will. Die Kosten der Physiotherapie zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung sind in den letzten zehn Jahren um gut 500 Millionen Franken gestiegen. Ab 2025 sollen die Physios im Land darum ihre Sitzungspauschalen um eine Zeitkomponente erweitern. Das soll den Kostenanstieg bremsen.
«Wie am Fliessband»
Die angedachte Zeitkomponente findet bei der Physiotherapeutin keine Zustimmung. Sie findet, dass nach der Qualität der angebotenen Behandlungen abgerechnet werden sollte. «Ein Zeitfaktor hingegen heisst, dass die Qualität leiden könnte.» Wollen die Physiotherapeuten unter dem Spardiktat von Gesundheitsminister Alain Berset auch in Zukunft gleich viel verdienen, müssen sie mehr Patienten pro Stunde behandeln. «Die Gefahr besteht, dass es zugeht wie am Fliessband, das kann nicht gut sein», sagt Kronig-Schmid.
Die Physiotherapeutin geht davon aus, dass sie und ihre Angestellten in Zukunft drei statt zwei Patienten pro Stunde behandeln müssen. «Es wird noch stressiger werden, das Risiko eines Burnouts steigt wegen der Sparpläne des Bundesrates.» Verhindern liesse sich das nur, indem sie ihren Angestellten mehr Pausen zugestehen würde. «Man kann einfach nicht 20 Patienten am Stück behandeln, aber Pausen wirken sich halt auch direkt auf die Einnahmen aus.» Denn nur wenn ein Physiotherapeut mit einem Patienten beschäftigt ist, gibt es von den Krankenkassen auch Geld.
Tiefe Löhne
Schon jetzt sind die Löhne eher tief: Bei Kronig-Schmid verdienen Berufseinsteiger 5500 Franken. Nach 20 Jahren Erfahrung gibt es dann etwa 7000 Franken. Brutto! «Für einen Job, der mindestens ein vierjähriges Bachelorstudium erfordert, ist das wenig», sagt sie und weiter: «Wenn wir jetzt noch sparen müssen, werden die Löhne sicherlich nicht steigen.» Die Umsatzeinbussen könnten wegen Bersets Sparplänen bis zu 44 Prozent betragen. Dabei spielen auch Weiterbildungen oder ein Masterabschluss keine Rolle. «Es gibt immer gleich viel Geld, egal wie engagiert und gut ausgebildet man ist», sagt Kronig-Schmid.
Es sei denn, man arbeitet die Patienten im Akkord ab. Mehr Patienten bedeutet für die Praxis auch mehr Bürokratie. «Es müssen mehr Rechnungen ausgestellt, mehr Telefonate mit Ärzten geführt werden», sagt sie. All das kostet Zeit und Geld. «Viele Physiotherapeuten schauen deshalb mit grosser Verunsicherung in die Zukunft.»
Auch die Lage ihrer Praxis spielt der Physiotherapeutin nicht in die Karten. Das Wallis liegt, was die Vergütung von ambulanten Leistungen in der Physiotherapie betrifft, schweizweit auf dem drittletzten Platz. Heisst: Ein Therapeut in Zürich verdient für die gleiche Arbeit rund 15 Prozent mehr. «Das macht sich am Ende des Jahres in der Kasse bemerkbar», so die Praxisinhaberin.
Teuerung schlägt zu
Gleichzeitig seien die Physiotherapeuten mit steigenden Ausgaben konfrontiert. «Auch wir spüren die allgemeine Teuerung», so Kronig-Schmid. Sie meint steigende Kosten für Strom, Miete, Verbrauchsmaterial oder Geräte. In Kombination mit dem Spardiktat seien dies düstere Aussichten.
Für Anja Katharina Schmid (29), die als Physiotherapeutin bei Aline Kronig-Schmid angestellt ist, eine bedrückende Situation. «Da ist schon Angst dabei, wenn ich sehe, dass alles teurer wird, es aber um Lohnerhöhungen schlecht bestellt ist», sagt sie. Und sie macht sich auch Sorgen um ihr körperliches und geistiges Wohlergehen. «Ohne Unterbruch Patienten zu behandeln, damit die Zahlen stimmen, macht krank», sagt sie.
Schmid und ihre Chefin hoffen darum, dass in Sachen Spardiktat für die Physios in der Schweiz das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Die Sparpläne des Bundesrates befinden sich im Moment in der Vernehmlassung. «Sollten die Sparpläne tatsächlich durchgesetzt werden, werden sich wohl ein paar Leute überlegen, ob sie nicht in einem anderen Beruf besser aufgehoben sind», ist sich Schmid sicher.