Mittwochmorgen, 6:56 Uhr am Bahnhof in Buchs SG. Eine Duzend Beamte des Grenzwachtkorps schreitet zur Tat. Wagen für Wagen, Abteil für Abteil durchkämmen die Einsatzkräfte den Nachtzug aus Wien. Und werden fündig: 38 illegal eingereiste Afghanen, alles Männer, müssen den Zug verlassen.
Rund die Hälfte von ihnen dürfte noch minderjährig sein. Die Momentaufnahme am Bahnhof zeigt eindrücklich, wie sehr sich die Situation zugespitzt hat. Seit Anfang Juli wurden in Buchs 2500 illegal eingereiste Männer und Jugendliche aus Afghanistan aufgegriffen, 1400 von ihnen noch nicht volljährig. Dazu kommt: 80 Prozent von ihnen haben bereits in Österreich ein Asylgesuch eingereicht, das Land aber vor einem Entscheid wieder verlassen.
Das Grenzwachtkorps und die Kantonspolizei St. Gallen sehen sich deshalb mit einer regelrechten Migrationswelle konfrontiert. «Wir kommen mit den Ressourcen an unsere Grenzen. Dazu kommt der, Umstand dass es sich um eine Sisyphos-Arbeit handelt», gesteht St. Gallens Justizdirektor Fredy Fässler (62) zu Blick.
Nach dem Essen in der Notunterkunft tauchen sie unter
Denn: Während die Behörden verpflichtet sind, die Personalien aller jungen Männer aufzunehmen und Rücknahmeverfahren gemäss Dublin-Abkommen einzuleiten, tauchen diese innert kürzester Zeit wieder unter! «Manchmal essen sie in der Notunterkunft in Wil SG noch etwas oder nehmen eine Dusche. Danach sind sie wieder weg. Dass einer über Nacht bleibt, kommt nur selten vor», so Fässler.
Denn: Eine illegale Einreise in die Schweiz stellt keinen Haftgrund dar. Die Afghanen nutzen die ihnen gewährte Freiheit, um ihre Reise sogleich fortzusetzen. Nachdem sie monatelang in griechischen Flüchtlingscamps ausharren mussten, hegen die meisten von ihnen den Traum, in Frankreich oder Grossbritannien ein neues Leben starten. Einen Asylantrag in der Schweiz stellt dagegen fast niemand.
250 Migranten alleine in der letzten Woche
Die Betroffenen führen an, Familienangehörige und Freunde in den beiden beliebten Zielländern zu haben. Der enorme Anstieg der Migranten – alleine in der letzten Woche waren es 250 – ist nach Vermutung der Behörde aber auch auf die politische Lage in Afghanistan zurückzuführen. Nach dem Sieg der Taliban sähen die jungen Männer in ihrer Heimat erst recht keine Perspektive mehr für sich und wollen nun hinsichtlich ihrer Zukunft Nägel mit Köpfen machen.
Während die Afghanen weiterziehen, bleiben die St. Galler Behörden auf einem bürokratischen Verfahrensberg sitzen. Um alle Migranten in Empfang zu nehmen, schieben Beamte Überstunden, müssen Dolmetscher sowie Vertrauenspersonen beigezogen werden. Sie haben den Anspruch, die Rechtsstaatlichkeit trotz aller Schwierigkeiten zu gewährleisten.
St. Gallen will Welle ohne die Armee bewältigen
Im Dezember geht in Buchs zudem ein eigens eingerichtetes Aufnahmezentrum in Betrieb. Trotz des Ansturms steht ein Beizug des Militärs nicht zur Debatte. «Wir werden keine bewaffneten Mitglieder der Armee an die Grenze stellen», kündigt Fredy Fässler an. Viel mehr gehe es darum, den Ansturm mit Polizisten und Beamten aus anderen Kantonen zu bewältigen.