In Fruthwilen TG krachte und knallte es am letzten Freitag. Riesige, 50-jährige Föhren, Erlen, Buchen, Eschen, Pappeln und Birken kippen um und machen einen Höllenlärm. Die Motorsägen heulen stundenlang. Mittendrin steht Ursula Pfister (60) mit Tränen in den Augen. Sie ist die Besitzerin des über 6000 Quadratmeter grossen Grundstückes und muss zusehen, wie die Förster auf Geheiss der Behörden zum Kahlschlag ansetzen. «Es ist ein Baummassaker, eine Tragödie», sagt sie. «Wie kann das nur sein, dass man eine ökologisch wertvolle Oase so verstümmelt.»
Und es wäre beinahe noch schlimmer geworden. Alle hohen Bäume an der Grundstücksgrenze müssen weichen – doch über Nacht wurde die Grundstück-Markierung, die den Förstern anzeigt, wo sie ihre Motorsägen ansetzen müssen, einfach fünf Meter ins Grundstückinnere verschoben. Wer das war, weiss niemand – aber: Hätten die Förster es nicht bemerkt, wären noch viel mehr Bäume von Pfisters Privatwald gefällt worden.
Einer der Waldarbeiter bestätigt gegenüber Blick: «Wir mussten am Mittwoch alles neu ausmessen, bevor wir mit der Arbeit beginnen konnten. Die Pfosten haben Beine bekommen», sagt er.
Giftiges Klima
Dass über Nacht die Pfosten zuungunsten des Privatwalds von Ursula Pfister versetzt wurden, ist bezeichnend für das Klima unter den Bewohnern des 500-Seelen-Dorfs. Trotz der grossen Grundstücke leiden die Fruthwiler unter Dichtestress. Die 18 bis 20 Meter hohen Bäume auf Pfisters Grundstück werfen vor allem in Richtung Norden lange Schatten. Das ärgert die Nachbarn, bereits 2017 haben sie sich darum bei der zuständigen Gemeinde Salenstein im Bezirk Kreuzlingen beschwert.
«Danach habe ich mich bei der Gemeinde für den Erhalt der Bäume verteidigt», sagt Ursula Pfister zu Blick. Und weiter: «Ich bin mit diesen Bäumen aufgewachsen, sie sind ökologisch so wertvoll. Ich beschloss, mich für sie einzusetzen», sagt Pfister. Als sie eine Rottannenhecke an der Grenze dem Frieden zu liebe entfernen liess, und das den Nachbarn noch nicht genug war, nahm sie sich einen Anwalt.
Sargnagel vom Bundesgericht
Im September 2019 erliess die Flurkommission der Gemeinde Salenstein schliesslich aber den Entscheid, dass bis spätestens März 2020 sämtliche Pflanzen entlang der gemeinsamen Grenze auf die gesetzlich vorgeschriebene Höhe geschnitten werden müssen. Auch gegen diesen Entscheid wehrte sich Ursula Pfister, die Parteien landeten vor dem Verwaltungsgericht. Im März 2021 kam auch von hier der Entscheid gegen die Bäume. Das Bundesgericht schliesslich setzte im November 2022 den Sargnagel für die 42 Bäume.
Mehr zu Bäumen an der Grenze
Angepflanzt hat den Wald der Vater von Ursula Pfister, der Möbelfabrikant Otto Pfister. «Beide Eltern waren Naturmenschen und liebten das angenehme Wohnklima zwischen den Bäumen. Sie sprachen schon vor 50 Jahren von der Förderung der Biodiversität. Vor uns war hier eine Kuhweide», sagt Pfister. Sie selber ist in den Kanton Zürich gezogen. Unter anderem, weil sie mit den Anfeindungen der Nachbarschaft nicht mehr klargekommen ist.
Witze über Pfosten mit Beinen
Die Nachbarn und die Gemeinde wollen sich zu dem Streit nicht äussern. Die Spannungen sind deutlich zu spüren, als Blick die Gegend besucht. Am Freitag kamen die Eigentümer zusammen mit dem Flur-Verantwortlichen der Gemeinde auf einen Augenschein bei Pfisters Grundstück vorbei. Angesprochen auf die illegale Versetzung der Pfosten über Nacht lacht der Gemeindeverantwortliche nur.
Ursula Pfister indes plant bereits eine ökologisch wertvolle Wiederherstellung der gerodeten grenznahen Zone. Sie sagt: «Wir pflanzen bereits ab nächster Woche einheimische Wildsträucher, damit die Tierwelt sich wieder ansiedeln kann. Die Vögel brauchen Nistplätze. Die Biodiversität kann sich dann hoffentlich schnell wieder von diesem Kahlschlag erholen.»