Gewalt, Manipulation und Todesangst: Eine Beziehung wie die von Lorena F.* (23) und ihrem Ex-Freund Hakim B.* (20) wünscht man niemandem. Nach Monaten des Leidens traute sich F., einen Schlussstrich zu ziehen. Aber die Situation eskalierte und Hakim kam – zwischenzeitlich – in Untersuchungshaft. Für F. ist es eine fast unerträgliche Situation: «Ich habe Angst. Um mich, und vor allem um meine Familie.»
«Musste ihn um Erlaubnis fragen, um Freundinnen zu treffen»
Das Drama begann im April dieses Jahres. F. lernte B. in St. Gallen kennen. Sie verliebte sich in den jungen Mann, die beiden wurden ein Paar. Nach einigen Monaten erzählte B. ihr von seiner Vergangenheit. Er wuchs in der Schweiz auf und wurde bereits in jungen Jahren straffällig. Zuerst sei er in ein geschlossenes Jugendheim und später wegen Gewaltdelikten ins Gefängnis gekommen. «Im Januar dieses Jahres kam er auf Bewährung raus. Er bekam eine Aggressionstherapie verschrieben, die er jedoch bald abbrach», erzählt Lorena F.
In der Beziehung ziehen bald Wolken auf. Lorena F. bemerkt Abbuchungen auf ihrer Kreditkarte, die nicht von ihr sind. Ausserdem fährt B. mit ihrem Auto, obwohl er keinen Führerschein besitzt. B. isoliert Lorena F. zunehmend von ihren Kolleginnen und Eltern. Screenshots von Chatverläufen zeigen, wie er sie manipulierte. «Wenn ich einen Abend mit Freundinnen verbringen wollte, musste ich ihm das Wochen vorher sagen», so F.
Streit eskalierte in den Ferien
Doch selbst dann war sie nicht sicher. «Einmal sagte er, ich dürfe nicht zur Freundin», so die 23-Jährige. Als sie trotzdem gehen wollte, rastete er aus und zerstörte ihr Auto: «Die Seitenspiegel hingen nur noch an den Kabeln.» Doch bei der Gewalt gegen das Auto sollte es nicht bleiben.
In den ersten gemeinsamen Ferien in Barcelona eskalierte die Situation: Bei einem Streit soll B. handgreiflich geworden sein. «Er hat mich gegen das Bett, die Wand und den Schrank geworfen. Ich hatte Todesangst», schilderte sie die Situation. Kurz darauf entschuldigte sich B. und versicherte, es würde nicht wieder vorkommen.
«Er spuckte mir auf den Kopf»
Nach den Ferien hörten die Attacken nicht auf. Lorena F. zeigt Videos von einem kaputten Fernseher und einer verwüsteten Wohnung. Sie berichtet von Schlägen und zeigt Fotos von blauen Flecken sowie von Drohungen auf Whatsapp. «Er sagte, wenn ich ihn verlasse, töte er meine Familie. Er beschrieb mir, wie er meinem Vater die Kehle aufschlitzen und ihn dann niederstechen würde», so Lorena F.
Am 6. November dieses Jahres wurde es ihr zu viel. Hakim B. rastete aus und schmiss die Kleider und Sachen von F. aus seiner Wohnung. «Es war zutiefst demütigend, als ich mein Hab und Gut auf der Strasse zusammensuchen musste», so F. Sie rief daraufhin ihre Eltern an, die sie bei der Wohnung von B. abholten. Als B. das bemerkte, soll er in der Wut das Smartphone der jungen Frau zerstört haben.
«Ob B. die Massnahmen einhält, müssen Sie selbst kontrollieren»
Rund eine Stunde später stand B. vor dem Elternhaus. Er entschuldigte sich und wollte F. sehen. Ihr Vater, ein pensionierter Polizist, liess ihn nicht rein. Erneut wurde B. aggressiv und soll dem Vater gedroht haben: «Warte nur, was noch passieren wird.» Die Familie liess die Verletzungen von Lorena F. im Spital dokumentieren und zeigte B. an, wegen Gewaltanwendung, Drohung, Nötigung und Sachbeschädigung. Der Fall ging an die Staatsanwaltschaft St. Gallen.
B. kam in Untersuchungshaft. Einige Wochen später dann die Hiobsbotschaft aus Gossau SG: Hakim B. kommt wieder auf freien Fuss. Er darf die Stadt St. Gallen nicht verlassen und keinen Kontakt mit der Familie aufnehmen. «Ob er das einhält, müssen Sie selbst kontrollieren», erinnert sich der Vater an eine Aussage der Staatsanwältin.
Weshalb wurde keine Fussfessel eingesetzt?
Auf Anfrage betont die Staatsanwaltschaft, sie hätte sich gegen eine Haftentlassung ausgesprochen: «Wir nehmen die Angst der Opfer ernst und ergreifen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten die Massnahmen.» Über die Durchsetzung entscheide allerdings das Zwangsmassnahmengericht. Dieses wollte sich gegenüber Blick nicht zur Freilassung äussern. Es betont lediglich seine Kontrollfunktion: «Wir müssen überprüfen, ob Massnahmen gerechtfertigt und verhältnismässig sind.»
Die Staatsanwaltschaft hält fest: Laut Gesetz wäre der Einsatz einer Fussfessel möglich gewesen — und nicht unüblich. Das Gericht entgegnet aber, man könne eine solche Fessel anordnen, müsse aber nicht.
Der Anwalt von B. wollte gegenüber Blick keine Stellung beziehen. Das Verfahren liegt nun bei der Staatsanwaltschaft, für Hakim B. gilt die Unschuldsvermutung.
Für Lorena F. ist klar: «Die Opfer werden zu wenig geschützt.» Die ganze Familie lebt in Angst. «Wenn ich durch die Stadt laufe, schaue ich immer wieder nach hinten», so der Vater. Trotzdem wollen Vater und Tochter mit dem Fall an die Öffentlichkeit: «Ich will nicht, dass so etwas weiteren Frauen passieren kann.»
* Namen geändert