«Wir gehen davon aus, dass Erkin (†13) völlig überrascht war, als Livio G.* das Messer zückte», sagte Hans Eggenberger, Informationschef der St. Galler Kantonspolizei, im Februar 1997 zum Sonntagsblick. Der damals 14-jährige Täter und das 13-jährige Opfer spielten demnach in einem Wald bei Degersheim Versteckis, als Livio G. plötzlich auf Erkin losging und ihn mit zwölf Messerstichen umbrachte.
Von Erkin fehlte zunächst jede Spur. Erst am Tag nach der Tat fand ein Suchtrupp seine Leiche.
Livio G. schlief nach der Tat im Elternbett
26 Jahre sind seither vergangen. Mitte März 2023: Livios Mutter Renata G.* (61) empfängt Blick bei sich zu Hause. «Seit seiner Tat ist er nicht mehr derselbe», sagt sie über ihren mittlerweile 40-jährigen Sohn. An jenem schicksalsträchtigen Tag im Februar 1997 sei Livio nach Hause gekommen, habe nichts gegessen und suchte dann im Elternbett Zuflucht. «Da wurde ich das erste Mal misstrauisch», sagt Renata G. Sie dachte, er sorge sich um seinen vermissten Freund Erkin.
Kinder, die töten
Dass sich ausgerechnet ihr Sohn als jemand entpuppt, der einen anderen Menschen umbringt, ist für sie noch heute unfassbar. «Ich kann Ihnen das Gefühl nicht beschreiben. Schockstarre.» Ihr Sohn kam nach der Tat in ein Erziehungsheim für strafrechtlich eingewiesene Jugendliche. Livio und Erkin seien Freunde gewesen, ist sich G. sicher. «Doch mein Sohn geriet an die falschen Leute und schloss sich einer Bande politisch rechts eingestellter Jugendlicher an.» Diese Gruppe habe es aufgrund seiner Herkunft auf Erkin abgesehen und die Tat geplant.
«Ich wünsche mir, er findet seinen Seelenfrieden»
Sie gibt sich selber eine grosse Mitschuld an der grausamen Tat ihres Sohnes. «Wir haben zu wenig gut zu ihm geschaut und nahmen uns keine Zeit für ihn.» Renata G. ist mittlerweile geschieden, das Verhältnis zu ihrem Sohn ist schwierig. Er habe eine Mauer um sich herum gebaut. «Wenn er sich nicht öffnet und über das Geschehene spricht, dann bleibt er ein Einzelgänger.» Er habe mehrmals Lehren angefangen und kurz vor dem Ende wieder hingeschmissen. «Ich wünsche mir, er findet seinen Seelenfrieden.»
Blick besucht auch Livio G. in seinem Zuhause. Er öffnet die Tür. Als er die drei Wörter «Degersheim», «Erkin» und «1997» hört, reagiert er verwirrt und sagt, er wisse nicht, wovon die Rede sei. Sein Blick ist müde und leer.
*Namen geändert