Deutschland steht nach dem Fall Luise (†12) unter Schock: Ein Polizist fand das Mädchen am Sonntag in der Gemeinde Freudenberg im Bundesland Nordrhein-Westfalen tot auf. Zwei Mitschülerinnen im Alter von 12 und 13 Jahren haben sie mit einem Messer erstochen, auf besonders brutale Weise. Gemäss neusten Erkenntnissen sollen die drei Mädchen beste Freundinnen gewesen sein. Der Fall weckt in der Ostschweiz dunkle Erinnerungen.
Sohn mit 12 Stichen umgebracht
Vor allem bei Parim (74) und Mirem (63) Bahtiyari aus Flawil SG. Sie wissen, wie sich das anfühlt. Ein anderes Kind tötete ihren Sohn. Der Fall sorgte national für Schlagzeilen: Im Februar 1997 stach Livio G. (damals 14) seinen Mitschüler Erkin Bahtiyari (†13) nieder. Die beiden waren nicht nur Klassenkameraden, sondern auch gute Freunde.
An diesem Februartag spielten die beiden Teenager im Wald Versteckis. Plötzlich ging Livio auf Erkin los und stach zwölfmal auf sein Gspänli ein. Der Grund für den unvermittelten Angriff ist auch heute, 26 Jahre nach der Tat, noch nicht restlos geklärt.
Der Schock ist Vater Parim Bahtiyari wieder ins Gesicht geschrieben, als Blick ihn besucht und der Name Erkin fällt. Bahtiyari schluckt leer. «Es ist wie eine Verletzung. Wenn man da drauf drückt, tut es auch Jahre später noch weh», sagt der neunfache Grossvater. Zur Veranschaulichung presst er seinen Daumen auf den Oberschenkel. Er und seine Frau Mirem denken nicht gerne an den fürchterlichen Tag im Februar 1997 zurück.
«Man lädt sich zwei Gewichte auf»
Doch der Fall Luise in Deutschland bringt bei ihm und seiner Frau alles wieder hoch: «Es hat uns daran erinnert. Auch unser Kind wurde von einem Kind getötet.» Parim Bahtiyari kommen immer wieder die Tränen, wenn er an seinen verstorbenen Sohn denkt: «Es ist sehr schlimm, wenn so etwas bei solch jungen Leuten passiert.» Der Kosovare fügt an: «Wer eine solche Tat begeht, lädt sich zwei Gewichte auf: Das eine von der Tötung eines Menschen und das zweite, weil man bis zum Tod mit dem Geschehenen leben muss.»
Auch wenn das Tatmotiv auch heute noch nicht geklärt ist, ist sich Parim Bahtiyari sicher: Livio G. sei eifersüchtig auf seinen Sohn gewesen. «Erkin hatte Top-Noten und war musisch sehr begabt», sagt Bahtiyari stolz. «Er machte in der fünften Klasse schon die Hausaufgaben für die sechste – einfach, weil es ihm so leicht fiel.» Dass das bei einem jungen Menschen böse Gefühle auslösen kann, sei schade, aber nicht zu ändern: «Eifersucht ist eine schlimme Krankheit.»
«Wir müssen weiterleben»
Zur Person von Livio G. hat Bathiyari nicht viel zu sagen: «Er interessiert mich nicht. Was wollen wir denn jetzt noch machen?»
Vielmehr konzentriere er sich auf seine eigene Familie: Der Kosovare und seine Frau haben mehrere Kinder und mittlerweile viele Enkel. «Sie sind unser grösster Trost», sagt er und zeigt stolz ein Video eines kleinen Mädchens. Sie hat ein riesiges Lachen im Gesicht. «Wir müssen weiterleben», sagt Bathiyati zum Schluss. Ein kurzes Lächeln huscht über seine Lippen.
*Name geändert
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