Deutschland steht unter Schock. Am Sonntag fand die Polizei die Leiche der vermissten Luise (†12). Die Schülerin wurde von zwei gleichaltrigen Mädchen erstochen. Die Täterinnen sind geständig. Es handelt sich um zwei Mitschülerinnen im Alter von 12 und 13 Jahren.
Was trieb sie zu so einer Tat – und vor allem: Wie geht man nun mit ihnen um? Der forensische Psychiater Thomas Knecht (64) glaubt nicht, dass Kinder böse geboren werden, die Veranlagung zum Mörder also genetisch bedingt ist. «Man geht nicht davon aus, dass es irgendwo ein Mörder-Chromosom gibt.» Wenn ein Kind eine solche Tat begehe, versuche man daher, die Gesamtentwicklung des Kindes wieder in normale Bahnen zu lenken.
Notbremse bei zukünftigen Aggressionsausbrüchen
Kurzfristig muss ein Täter-Kind trotzdem erst einmal abgeschirmt werden, wie Knecht erklärt. «Man muss dann beobachten, wie sich seine Aggressionskontrolle entwickelt.»
In Deutschland sind Kinder erst ab 14 Jahren strafmündig, in der Schweiz greift das Jugendstrafrecht ab zehn Jahren. Massnahmen wie die Unterbringung in einem Jugendheim können von den Jugendämtern in Deutschland auch vor dem 14. Altersjahr angeordnet werden.
Doch wie werden Kinder-Täter wieder auf den richtigen Weg gebracht? Knecht: «Man versucht, eine Reflexion über die Tat anzuregen und dafür zu sorgen, dass bei zukünftigen Aggressionsausbrüchen eine Notbremse gezogen werden kann. Längerfristig muss das Leben solcher Kinder dann in eine normale Umgebung gelenkt werden, damit sie auch nicht für immer den Stempel von Mörderinnen haben.»
Möglicher Zusammenhang mit Pubertät
Knecht ist nicht erstaunt, dass sich die Täterinnen und das Opfer kannten. «Dass sich die Mädchen ein Zufallsopfer suchten, scheint in der Tat unwahrscheinlich. In diesem Alter muss man die Ursache für das Delikt in der Beziehungskonstellation suchen.»
Die beiden Beschuldigten hätten offenbar einen Konsens darüber gehabt, dass man gegen die Dritte vorgehe, sagt Knecht zu Blick. «Da fand ausserdem eine Verantwortungsdiffusion statt, die beiden Täterinnen teilten sich die moralische Haftbarkeit.»
Knecht sieht die Tat auch im Zusammenhang mit einem möglichen Pubertätsschub. «Mädchen kommen ja früher in die Pubertät als Buben. Dabei kam es wohl zu einer emotionalen Unausgeglichenheit.» Die Entwicklung des Vorderlappens des Gehirns sei bei Pubertierenden teilweise noch nicht so weit entwickelt, dass ein moralisches Gegengewicht zu den Gefühlen hergestellt werden kann. «Ein entsprechender Abwägungsprozess konnte vermutlich nicht stattfinden», erklärt der Psychiater.
«Kinder fangen an, Machtkonstellationen bewusster zu erleben»
«Man weiss, dass Kinder in diesem Alter anfangen, Machtkonstellationen bewusster zu erleben. Sie fangen an, politisch zu denken und sich in Machtkonstellationen einzuklinken.» Laut Knecht können sich so zum Beispiel Mobbing-Situationen entwickeln. Bei kleineren Kindern sei das weniger der Fall.