«Er sagte, er hätte sich in mich verliebt»
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Rentnerin verliert 24'000 Fr.«Er sagte, er hätte sich in mich verliebt»

Fake-Starkoch gaukelt St. Galler Rentnerin die grosse Liebe vor
«Ich dachte, Steffen Henssler liebt mich – stattdessen verlor ich 24'000 Franken»

Gertrud F. (75) glaubt seit 13 Monaten, über Telegram eine Beziehung mit dem deutschen Fernsehkoch Steffen Henssler zu führen. Immer wieder wird F. nach Geld gefragt – und zahlt. Sie ist auf Betrüger hereingefallen – mit dem echten Henssler hat sie nie gesprochen.
Publiziert: 17.10.2024 um 01:11 Uhr
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Aktualisiert: 17.10.2024 um 10:17 Uhr
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Die 75-jährige Gertrud F. aus dem Kanton St. Gallen ist auf Betrüger hereingefallen und hat ihnen insgesamt über 24'000 Franken gegeben. «Ich weiss, ich bin ein Tubeli», sagt sie zu Blick.
Foto: Sandro Zulian

Auf einen Blick

  • Rentnerin Gertrud F. wurde um 24'000 Franken betrogen
  • Der Betrüger gab sich als TV-Koch Steffen Henssler aus
  • Gertrud F. verlor ihr Geld über Steam und Kryptowährungen
  • Im Kanton St. Gallen gab es dieses Jahr knapp 40 Fälle
  • Gertrud F. bittet verzweifelt um Hilfe von Blick-Lesern
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sandro ZulianReporter News

Eigentlich ist Gertrud F.* ein frohes Gemüt. Freundlich empfängt sie Blick bei sich zu Hause im Kanton St. Gallen. Sie lacht gerne und viel. Doch in den letzten Tagen ist ihr das Lachen vergangen.

Die 75-Jährige möchte nicht erkannt werden, weder von Freunden und Familie, noch von der Öffentlichkeit. Denn was die Rentnerin zu erzählen hat, ist ihr peinlich. Es bedroht gar ihre Existenz. Denn Gertrud F. wurde betrogen. Um über 24'000 Franken, wie sie sagt.

Sie kann nicht glauben, wie sie jemals darauf hereinfallen konnte. Die Folgen sind verheerend: F. kann ihre Miete nicht bezahlen, musste bereits Geld leihen, um sich Essen zu kaufen. Auf ihrem Konto befinden sich noch mickrige 10.47 Franken.

Telegram-Chat mit einem falschen Steffen Henssler

Alles begann im September vor einem Jahr. Gertrud F., die seit 14 Jahren alleinstehend ist, sitzt zu Hause und schaut sich eine Sendung im Fernsehen an. Der Protagonist: Steffen Henssler (52), berühmter deutscher Fernsehkoch, Kochbuchautor und Entertainer. An diesem Abend holt Henssler im «Grill den Henssler» Sommer Special den Gesamtsieg. Gertrud F. ist Fan. Freudig gratuliert sie dem Profil auf Telegram, hinter dem sie Henssler vermutet. Es ist ein Profil mit seinem Bild und dem blauen Verifiziert-Haken. Hier nimmt das Unheil seinen Lauf. Denn F. kommuniziert nie mit dem echten Henssler. Sondern fällt auf Betrüger rein.

Schnell entsteht ein digitales Gespräch. «Er sagte, ich sei eine sehr hübsche Frau», erzählt F. Kurz nachdem die Betrüger Gertrud F. unendliche Liebe gestanden hatten, kam bald schon die erste Forderung nach Geld. «Er sei gerade nicht flüssig», erzählt F. über die Beweggründe des falschen Fernsehkochs.

Verschleierte Geldflüsse

«Ich war blind vor Liebe», sagt F. Sie musste das Geld mittels Steam-Guthaben übermitteln. Steam ist eine der erfolgreichsten Internet-Vertriebsplattform für Computerspiele. Guthabenkarte gibt es an jeder Supermarktkasse. Gertrud F. kauft und kauft und kauft. Bergeweise Quittungen auf ihrem Tisch zeugen davon.

Später wird Gertrud F. aufgefordert, das Binance- und Coinbase-App zu installieren. Beides sind Handelsplattformen für Kryptowährungen. Auch dort verlor F. ziemlich schnell tausende von Franken. Immer mit der Versprechung des falschen TV-Kochs, das Geld möglichst bald zurückzuzahlen. Doch dazu kam es nie. F. sagt betrübt: «Jetzt im Nachhinein weiss ich, dass ich ein Tubeli bin.»

Die Betrüger halten Gertrud F. bei der Stange. Nicht nur mit weiteren, leeren Versprechungen, sondern auch mit einem gefälschten Screenshot eines Bankauszugs der Deutschen Bank. Für das geschulte Auge sofort als Fälschung zu entlarven. F. glaubte jedoch mit Blick auf den überwältigenden Kontostand von vier Millionen Euro, dass sie ihr Geld bald zurückerhalten werde. Die IP-Adresse auf dem Screenshot führt nach Birmingham in Grossbritannien.

Video-Anruf-Fake

Nicht immer habe der falsche TV-Star hohe Beträge gefordert, sagt F.: «Manchmal ging es auch nur um 30 Euro, damit er seine Webseite wieder aktivieren kann.» Monatelang wird F. vom falschen Steffen Henssler bezirzt, er holt ihr die Sterne vom Himmel. Es sind Sätze gefallen wie: «Ich liebe dich über alles.»

Für die 75-jährige Gertrud F. ist das Neuland: «So etwas hat noch selten jemand zu mir gesagt.» Die Betrüger locken F. sogar mit einem Verlobungsring und Versprechungen für ein Auto. Sie nutzen die Einsamkeit und Naivität der Ostschweizerin schamlos aus.

Die Rentnerin war zwar leichtgläubig, fiel aber auch auf eine ausgeklügelte Masche hinein. Denn der vermeintliche TV-Koch habe nicht nur glaubhafte Sprachnachrichten geschickt, sondern startete in einigen Fällen sogar Video-Calls, wie Gertrud F. erzählt: «Ich habe ihn vor mir gesehen! Er war da.»

Gertrud F. ist am Boden zerstört: «Ich weiss nicht mehr, was ich glauben soll. Ich bin einfach verwirrt.» Immer und immer wieder wurde sie während der vergangenen 13 Monate skeptisch. Jedes einzelne Mal holte ihr vermeintlicher Star sie wieder zurück. Um ihr noch mehr Geld abzuknöpfen. «Ich bin wirklich in Not. Ich werde meine Wohnung verlieren, wenn ich das Geld nicht zurückbekomme. Das verkrafte ich nicht.»

Bei der Kantonspolizei St. Gallen kennt man das Problem. Im laufenden Jahr hat die Polizei im Kanton St. Gallen schon knapp 40 Fälle, in denen es um den Liebesbetrug geht, zu verzeichnen. Mediensprecher Milo Frey sagt: «Schützen kann man sich, indem man besonders im Internet sehr vorsichtig ist. Man muss sich bewusst sein: Betrüger können alles fälschen.»

Seien es gefälschte Passkopien, Fotos, Institutionen oder Deepfakes, alles ist möglich. Letztere sind überzeugend realistische Fälschungen von Videos, Fotos oder Audios. Frey: «Man sollte sich immer bewusst sein, dass solche Fälschungen mittlerweile einfach umzusetzen sind. Es ist schwierig, echt von unecht zu unterscheiden.»

«Helft mir bitte»

Gertrud F. hat am Dienstag Strafanzeige erstattet. In ihrer Verzweiflung bittet sie die Leserinnen und Leser: «Helft mir bitte, ich weiss weder ein noch aus. Ich habe nicht einmal mehr Geld zum Leben.» Ihr trauriges Fazit zur ganzen Sache: «Ich dachte, Steffen Henssler liebt mich – stattdessen verlor ich 24'000 Franken.»

Steffen Henssler wollte gemäss seinem Management zum vorliegenden Fall und zum Diebstahl seiner Identität keine Stellung nehmen.

Währenddessen schreiben die Betrüger in seinem Namen weiter und fragen Gertrud F. am Dienstag: «Können Sie Ihre nächste Rente riskieren und zu mir kommen?»

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