Ein Schnitt und Zack, die Vorhaut ist weg. Rund 3000 Buben werden in der Schweiz jährlich beschnitten, berichtet die «Aargauer Zeitung».
Das Problem: Gefragt werden sie dafür oftmals nicht. Meist sind nämlich keine medizinischen, sondern religiöse Gründe Ursache für den Eingriff. Im Judentum gilt es als Gebot Gottes, einen Buben an dessen achten Lebenstag zu beschneiden, ausser er sei «schwächlich oder krank». Im Islam gilt es als wegweisende Tat des Propheten und wird vor der Pubertät durchgeführt.
«Bei Gewalt an Männern wird zu Unrecht weggeschaut»
Die Beschneidung von Mädchen ist seit 2012 verboten, weil sie eine grobe Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist und gegen internationales und nationales Recht verstösst, wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) kürzlich im Rahmen einer Kampagne schrieb. Die Beschneidung von Buben allerdings ist gesetzlich nicht geregelt. Der Verein Pro Kinderrechte Schweiz will dies ändern. Ihr Geschäftsführer Christoph Geissbühler sagt: «Bei der Gewalt an Frauen, da schaut man hin – zu Recht. Bei der Gewalt an Männern jedoch, da schaut man weg – zu Unrecht. Diese wird ausgeblendet und tabuisiert».
Um zu zeigen, wie ernst es ihm ist, hat Geissbühler eine Anzeige gegen den Arzt Guido Baumgartner eingereicht. Dieser ist leitender Kinderchirurg des St. Galler Spitals Linth sowie des Kantonsspitals Graubünden. Er führe pro Jahr 50 bis 70 Beschneidungen durch, wird Baumgartner zitiert. Etwa 20 seien religiös motiviert. Zuvor stellte ihm Geissbühler eine Falle, indem er sich in einer Mail als Vater ausgab, der seinen Sohn aus religiösen Gründen beschneiden lassen wolle. Als Baumgartner sagte, auch Wunscheingriffe zuzulassen – gegen Vorausbezahlung von 1300 Franken – leitete Geissbühler den Mailwechsel an die St. Galler Staatsanwaltschaft weiter und begründete damit seine Strafanzeige wegen schwerer Körperverletzung.
Kein Strafverfahren, aber Unsicherheit
Diese sah allerdings keinen Grund, ein Strafverfahren zu eröffnen. Sie erliess eine sogenannte Nichtanhandnahmeverfügung. Die Begründung: Eine Vorhautamputation ohne medizinische Indikation erfülle zwar «rein objektiv betrachtet» den Straftatbestand der einfachen Körperverletzung an einem Kind. Es handle sich aber nicht um eine schwere Körperverletzung. Somit können die Behörden nur handeln, wenn die Betroffenen Anzeige erstatten. Im Fall der Beschneidung müssten demnach die Kinder ihre Eltern anzeigen – was kaum realistisch ist.
Allerdings kann die Staatsanwaltschaft das Anliegen Geissbühlers auch nachvollziehen. In der Verfügung wird betont, dass der Verein ein legitimes Anliegen verfolge, das aber nur auf juristischem Weg durchsetzbar sei. Denn das Parlament habe sich bewusst für eine Ungleichbehandlung der strafbaren Mädchenverstümmelung einerseits und der straflosen Knabenbeschneidung andererseits entschieden.
Vor allem Muslime führen die Beschneidungen durch
Arzt Baumgartner sagt, es seien vor allem Muslime, die religiöse Beschneidungen durchführen liessen. Juden würden dies in ihren eigenen Kreisen und mit eigenen Methoden machen. Um die Muslime davon abzuhalten, die Beschneidungen in ihren Heimatländern unter nicht kindergerechten Bedingungen durchzuführen, halte man die Kosten für die Prozedur absichtlich niedrig.
Weiter führt er aus, dass bei der Operation durchaus Komplikationen auftreten könnten. Wenn der Eingriff ausgeheilt sei, seien aber in der Regel keine Nachteile zu erwarten. Heikel findet Baumgartner allerdings Beschneidungen bei Knaben unter einem Jahr. Ohne Betäubung könne er die Operation nicht verantworten. «Kinder haben ein Anrecht darauf, keine Schmerzen haben zu müssen. Deshalb braucht es eine Narkose», wird er zitiert. Doch im ersten Lebensjahr könne eine Narkose negative Auswirkungen auf die Hirnentwicklung haben.
Bundesgericht urteilt gegen Geissbühler
Das Spital Linth biete Wunscheingriffe deshalb erst ab zwei Jahren an. Doch am Kantonsspital Graubünden würden auf Wunsch der Eltern die kleinen Buben schon zuvor beschnitten und in Narkose gesetzt. «Das ist immer noch besser, als wenn ein Medizinmann in einem Hinterhof zum Messer greift», sagt Baumgartner.
Dem widerspricht Christoph Geissbühler vehement. Zum Hinterhof-Argument meint er: «Eine Straftat lässt sich nicht dadurch rechtfertigen, dass man sie ‹besser› ausführt als die andern.»
Die Schweizer Justiz sieht das aber anders. Geissbühlers Verein hat sich erfolglos gegen die Verfügung der St. Galler Staatsanwaltschaft gewehrt. Jetzt hat sich auch das Bundesgericht damit befasst und entschieden, dass der Verein in diesem Verfahren keine Parteirechte hat. Als Aussenstehender könne er sich also nicht in die Angelegenheiten zwischen Ärzten, Eltern und ihren Kindern einmischen.
Es ist bereits die zweite juristische Niederlage des Vereins. Im Kanton Bern ist er mit einem ähnlichen Verfahren gescheitert.
Weitere Ärzte sollen angezeigt werden
Hilfe kriegt Geissbühler von Strafrechtsprofessor Martin Killias. Dieser sagt, diese Beschneidungen seien eigentlich auch in der Schweiz strafbar. Und das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte erarbeitete ein Grundlagenpapier, in dem es eine «gewisse Rechtsunsicherheit» feststellte.
Der Verein Pro Kinderrechte will deshalb nicht aufgeben und plant, weitere Ärzte anzuzeigen. (vof)