Darum gehts
- Die Zahl der Rassismusfälle in der Schweiz hat 2024 deutlich zugenommen.
- Schwarze und Muslime waren am häufigsten betroffen
- Der Bund fordert Massnahmen gegen Diskriminierung
Hat unser Land ein Rassismusproblem? Ein neuer Bericht des Bundes lässt aufhorchen. Der Report der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) und des Vereins humanrights.ch, der SonntagsBlick vorliegt, beschreibt drastische, bisher unbekannte Übergriffe: einen Bauern, der eine Joggerin rassistisch beleidigt und versucht, sie ins Gesicht zu schlagen, sie daraufhin zu Boden stösst und am Arm verletzt. Oder eine Ärztin einer Notfallpraxis, die einen türkischen Patienten aufgrund seiner Herkunft beschimpft und aus der Praxis wirft.
1211 Rassismusfälle dokumentiert der Bericht für das Jahr 2024. Das sind 38 Prozent mehr als im Jahr davor und so viele wie noch nie. Im Schnitt kam es in der Schweiz also zu mindestens einem Übergriff alle sieben Stunden.
Schwarze am häufigsten betroffen
Die Dunkelziffer liegt deutlich höher, denn nur die wenigsten Betroffenen wenden sich an eine Beratungsstelle. «Um die gesamte Dimension von Rassismus und Diskriminierung in der Schweiz zu erfassen, bräuchte es ein umfassendes Monitoring», schreiben die Autorinnen und Autoren im Bericht.
Am häufigsten betroffen waren wie in den Jahren zuvor Schwarze – in 368 Fällen. Zum Beispiel wandte sich eine Pflegerin an eine Beratungsstelle, weil sie von einem Patienten und dessen Ehefrau beleidigt und mit dem N-Wort beschimpft wurde.
Insgesamt 551 Mal richteten sich die Diskriminierungen entweder gegen Muslime oder gegen Menschen aus dem arabischen Raum. Der Bericht beschreibt den Fall einer Muslimin, die von ihrem Nachbarn wiederholt dazu aufgefordert wurde, ihr Kopftuch abzuziehen. Oder der Fall einer staatlich beauftragten Betreuungseinrichtung, die sich weigerte, fastende Kinder während des Ramadans über Mittag zu betreuen.
Angriffe mit Waffen
79 der gemeldeten Fälle betrafen Personen aus dem asiatischen Raum. Als antisemitisch stuft der Bund 66 der Ereignisse ein. Immerhin: Meist blieb es bei Drohungen, Beschimpfungen oder schwerer Benachteiligung. In 94 Fällen kam es aber auch zu körperlicher Gewalt – dreimal waren dabei sogar Waffen im Spiel.
Ursula Schneider Schüttel, Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, warnt: «Die Enthemmung des politischen und gesellschaftlichen Diskurses, insbesondere in den sozialen Medien, ist besorgniserregend.» Was früher als unsagbar galt, werde heute ungefiltert in die Öffentlichkeit getragen. Diese Entwicklung führe zu einer Polarisierung der Gesellschaft und trage dazu bei, dass Vorurteile als legitime Meinungen dargestellt werden. «Rassistische Aussagen werden relativiert, verharmlost oder sogar bewusst normalisiert», sagt Schneider Schüttel. «Das kann zu einem Anstieg von Hassverbrechen führen.»
Die Gründe
Was sind die Gründe für die deutliche Zunahme der Fälle? Die Gesellschaft sei heute sicherlich sensibilisierter auf das Thema Rassismus, so die EKR-Präsidentin. Vorfälle würden schneller gemeldet. Das allein erkläre den massiven Anstieg aber noch nicht.
Schneider Schüttel sieht unter anderem die Weltlage als Treiber: «Globale Konflikte wie der Krieg im Nahen Osten, hitzig geführte Migrationsdebatten und das Erstarken rechtspopulistischer und nationalistischer Kräfte in vielen Teilen der Welt tragen dazu bei, dass gesellschaftliche Spannungen zunehmen.»
Die Präsidentin der Antirassismuskommission fordert breitere Sensibilisierungsarbeit, besonders in Schulen, Verwaltungen und Unternehmen. «Rassismus betrifft uns alle», sagt sie. Auch müsse der zivilrechtliche Diskriminierungsschutz ausgebaut werden. «Es ist inakzeptabel, dass das schweizerische Recht Personen, die rassistisch diskriminiert werden, keinen befriedigenden Schutz bietet.»
Bundesrätin Baume-Schneider alarmiert
Der Anstieg der Fälle deckt sich mit den Resultaten einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Bundesamts für Statistik (BFS). Diese zeigte zwar eine insgesamt offene Schweizer Gesellschaft. Sie kam aber auch zum Schluss, dass fremdenfeindliche Einstellungen in der Schweiz nach einem jahrelangen Rückgang wieder zugenommen haben.
Demnach fühlte sich 2024 jede dritte Person gestört von Menschen mit einer anderen Sprache, Religion oder Hautfarbe. Kommt hinzu: 1,2 Millionen Menschen geben an, in den vergangenen fünf Jahren rassistisch diskriminiert worden zu sein. SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider zeigte sich alarmiert. Die Zahlen seien «Ausdruck eines tiefer liegenden Problems: von strukturellem Rassismus».