Sie musste sterben, weil sie Jüdin war. Vor 76 Jahren entkam Mireille Knoll (†85) nur knapp dem Holocaust – nun wurde sie in Paris ermordet. Feuerwehrleute entdeckten ihre Leiche in einer Sozialwohnung, verkohlt und von Stichwunden übersät. Der mutmassliche Täter: ein 27-Jähriger aus dem Maghreb.
Die Bluttat erschüttert Frankreich. Und löste eine Debatte aus. Ein Land fragt sich: Wie antisemitisch sind unsere Einwanderer? Der Mord an Mireille Knoll ist nur die jüngste in einer Reihe antijüdischer Attacken junger Muslime. Experten und Politiker warnen vor «importiertem Judenhass» und davor, dass der Islam den Antisemitismus in Europa neu befeuert.
In der Schweiz sind Übergriffe auf Juden selten. Doch sie geschehen auch hier. So wie am 18.Juni 2017, als ein klar als gläubiger Jude erkennbarer Mann in einer Zürcher Quartierstrasse einen Streit zwischen vier Jugendlichen und einem Passanten schlichten wollte. Die Folge: Die Jugendlichen beschimpften ihn als «Saujuden» und boxten ihn zu Boden. Er trug Verletzungen am Kopf davon.
Anderer Ort, ähnlicher Vorfall: Am 26. Oktober 2017 griffen Jugendliche in Baden AG einen orthodoxen Juden an. Sie bespuckten den Mann, schrien «dreckiger Judenabschaum!»
In beiden Fällen waren die Täter Migranten. Ein Umstand, der dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) Sorgen bereitet. «Antisemitismus unter Muslimen kommt leider auch in der Schweiz vor», sagt SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner. Er betont aber auch: Das Phänomen ist hierzulande weniger ausgeprägt. Und: Antisemitismus grassiere nicht nur unter radikalen Muslimen, sondern genauso unter Rechtsextremen sowie fundamentalen Israel-Gegnern.
Viele Muslime unter den Hetzern
Die Judenhasser in der Schweiz toben sich vor allem im Internet aus. Ungehemmt und meist unter ihrem richtigen Namen. Was auffällt: Viele dieser Hetzer sind Muslime. Im neuesten Antisemitismusbericht schreibt der SIG: «Bei Hassreden in den sozialen Medien kann aufgrund der registrierten Profile festgestellt werden, dass es sich um überdurchschnittlich viele User mit muslimischem Hintergrund handelt.» Die Täter seien meist zwischen 15 und 30 Jahre alt, sie reagierten meist angespornt von Ereignissen im Nahen Osten.
Günther Jikeli überrascht das nicht. Der deutsche Historiker hat sich auf muslimischen Antisemitismus spezialisiert und sagt: «Unter vielen jungen Muslimen ist Antisemitismus salonfähig.» Das Wort «Jude» werde von arabischen Jugendlichen als Schimpfwort benutzt. Mehr noch: «Es gilt als cool, gegen Juden zu hetzen.»
Jikeli verweist dabei auf Studien: Je religiöser Muslime sind, desto ausgeprägter der Antisemitismus. Der Judenhass könne zu einem Teil der Identität werden. «Die Vorstellung, dass Juden und Muslime zwangsläufig Feinde sind, ist weit verbreitet.»
Als einen der Hauptgründe ortet Jikeli die Tatenlosigkeit islamischer Verbände: «Viele von ihnen setzen extremistischen Interpretationen religiöser Texte nichts entgegen.»
«Hier existieren keine Banlieues»
Da widerspricht SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner. Er lobt die Muslimverbände ausdrücklich für ihr Engagement gegen Diskriminierung. «Wir stehen in einem konstruktiven Dialog mit den islamischen Dachverbänden», sagt er. Man schätze und respektierte einander. Zudem sei die muslimische Gemeinschaft in der Schweiz gut integriert. «Hier existieren keine Banlieues (verarmte Vororte; Red.) wie etwa in Frankreich, in denen unkontrolliert dschihadistische Ideologien keimen.»
Önder Güneş von der Föderation islamischer Dachorganisationen der Schweiz (FIDS) stimmt dem zu: «Wir sind nicht nur gegen Antisemitismus, wir bekämpfen ihn auch.» So gebe es regelmässige Treffen zwischen Vertretern der FIDS und dem Israelitischen Gemeindebund, um Problemen und Drohungen gemeinsam entgegenzutreten.