Ungefragte Berührungen, durchdringende Blicke oder anzügliche Gesten: Sexuelle Belästigung hat viele Formen. Studien zeigen, dass zwischen 20 und 60 Prozent der Frauen in der Schweiz schon einmal eine sexuelle Belästigung erlebt haben. Neue Zahlen zeigen jetzt, dass die meisten Übergriffe nicht im Ausgang passieren.
Der Hauptteil der Belästigungen findet auf offener Strasse statt. Dies geht aus Daten der Meldestellen «Zürich schaut hin» und «Bern schaut hin» hervor. Auf den Portalen können Belästigungen seit Mai 2021 gemeldet werden. In Bars oder Clubs wurde nur ein kleiner Teil der Belästigungen verübt. Am zweitmeisten wurden Fälle in Bussen oder an Bahnhöfen gemeldet. Dies berichtet SRF in der Sendung «Heute Morgen».
Über ein Drittel der Frauen, die die App nutzen, gab an, schon einmal im ÖV belästigt worden zu sein. Regula Bühlmann, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Bern, sagt gegenüber SRF: «Wir können uns vorstellen, dass es mit der Anzahl Menschen zu tun hat, die sich an solchen Orten aufhalten. Dort ist es schwer, die Übersicht zu behalten.» Ausweichmöglichkeiten gebe es oft keine.
«Er starrt ununterbrochen»
Die Meldungen auf dem Portal sind für andere nicht einsehbar. Auf Anfrage erhalten Journalisten eine Auswahl. Blick berichtete schon im Juni 2022 über das Tool. Damals schrieb eine Userin: «Kurz vor 8 Uhr im Bus, ich muss arbeiten, und dieser ältere Herr starrt ununterbrochen. Grausam unangenehm, er versucht, Blickkontakt herzustellen. Einfach hässlich.» Eine andere: «Spruch über meine Tochter (13) von einem Handwerker zu seinen Kumpels: ‹In zwei Jahren ist die gut!›» Oder nochmals eine Meldung aus dem ÖV: «Als ich in den Bus wollte bei der Station, sagte ein Mann (40–50), ich (22) hätte einen fantastischen Körper. Ich fühlte mich sehr unsicher, wusste nicht, ob er weitergehen würde, und schämte mich, dass andere Passagiere dies hörten. Niemand sagte etwas. Danke für diese Webseite!»
Bei den Belästigungen gehe es oftmals nicht um strafrechtlich relevantes Verhalten, sondern um Grenzüberschreitungen. «Es geht darum, dass wir die Bevölkerung sensibilisieren und sie zu Zivilcourage aufrufen», sagt Bühlmann bei SRF.
Betreiber streben sicheren ÖV an
Die Bus- und Bahnbetreiber versuchen, solchen Übergriffen mit Verhaltensregeln entgegenzuwirken. Die SBB testen derzeit ein neues System: In manchen SBB-Zügen sind QR-Codes angebracht. Wer den Code einscannt, landet auf einem Meldeportal. Vorfälle, die einem «ein unsicheres Gefühl» vermitteln, können dort erfasst werden.
Im Rahmen von «Zürich schaut hin» finden auch immer wieder Kurse statt, in denen es um Zivilcourage geht. Das Ziel des Projekts: Jeder soll sich ohne Angst vor physischer Gewalt oder dummen Sprüchen im öffentlichen Raum und im Nachtleben bewegen können, egal, wie er aussieht, welches Geschlecht er hat und wen er liebt. (ene)