Nach dem Amoklauf an der Uvalde-Schule – eine Analyse
Verlorene Tränen

Politiker beider Seiten missbrauchen die jüngsten Amokläufe in den USA. Die wahren Probleme benennen sie nicht an. Echte Lösungen sind schwierig. Eine Analyse.
Publiziert: 28.05.2022 um 18:26 Uhr
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Aktualisiert: 28.05.2022 um 19:01 Uhr
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Trauer in Uvalde, Texas. Ein Teenager erschoss am 24. Mai in einer Grundschule 19 Kinder und zwei Lehrerinnen.
Foto: AP
Peter Hossli

Ein Teenager erschiesst in einer Schule in Texas 19 Kinder und zwei Erwachsene. Ein anderer Teenager tötet in einem Supermarkt in New York zehn Personen. Bei den Angehörigen der Opfer hinterlässt das unfassbare Schmerzen. Die Politik und mit ihr die Medien halten ein altbekanntes Ritual ab. Gemeinsam geben sie vor, sie hätten einfache und rasche Lösungen parat. Die Demokraten beschuldigen die Waffenlobby und fordern strengere Gesetze. Die Republikaner sagen, Menschen und nicht Gewehre würden töten. Ihr Rezept: Die Guten sollen sich bewaffnen, um die Schwachen vor den Bösen zu schützen. Die Erklärungsversuche sind vielfältig: Rassismus. Unentdeckte psychische Krankheiten. Videogames. Hasserfüllte Rhetorik des Ex-Präsidenten. Halbautomatische Waffen, die Amerikas Schützenverein NRA nicht verbieten wolle.

Ist all das einmal gesagt, passiert genau – nichts. Bis beim nächsten Amoklauf die gleichen Worte wieder fallen.

Was wirklich ist, sagt kaum jemand. Dass Waffengewalt in den USA komplexere Ursachen hat. Und dass es für dieses Geschwür keine einfache Kur gibt.

Knapp 21'000 Tote alleine im Jahr 2021

Um die Problematik zu erfassen, sind Zahlen aufschlussreich. Letztes Jahr wurden 20'914 Amerikanerinnen und Amerikaner mit Schusswaffen ermordet. Jeden Tag in jedem Jahr sterben in den USA mehr als doppelt so viele Menschen durch Kugeln wie am vergangenen Dienstag in der texanischen Kleinstadt Uvalde. Über dieses tagtägliche Massaker empören sich amerikanische Politiker kaum, Journalistinnen spüren ihm nur selten nach.

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Ein Blick auf die geografische Verteilung der Taten mag das Schweigen zum Sterben erklären. Die Morde geschehen grösstenteils in schwarzen Quartieren in Chicago, Baltimore oder Cincinnati. Dort, wo Opfern wie Tätern die Perspektiven fehlen. Väter sitzen hinter Gittern. Mütter verfallen den Drogen. Kinder erleben Traumata, sie dealen und sie bewaffnen sich. Zumal es für sie einfacher ist, einen Revolver als ein Smartphone zu kaufen.

Das Problem sind die Handfeuerwaffen

Womit wir bei einer zweiten wichtigen Zahl wären: 400 Millionen Schusswaffen befinden sich in den USA im Privatbesitz. Dieses hohe Angebot drückt die Preise. 50 Dollar genügen, um in Minuten eine Pistole mitsamt Munition zu erwerben. Ein Sturmgewehr ist für 1500 Dollar und ein paar Stunden Geduld zu haben.

Die jetzt herumgebotenen Gesetze würden wenig ändern. Das grosse Waffenarsenal bliebe im Umlauf, die Armut in gewalttätigen Quartieren bestehen. Ein sofortiges Verbot halbautomatischer Gewehre könnte die Zahl der Opfer wohl nur unwesentlich senken. Durch solche Kriegsgeräte sterben laut Bundespolizei FBI 2,5 Prozent der Opfer. Eine grosse Mehrheit – zwei Drittel – wird von Patronen aus Handfeuerwaffen getötet. Eine striktere Überprüfung beim Verkauf der Waffen hätte auf Amokläufe geringe Folgen. Die meisten Täter waren zuvor nicht vorbestraft, viele erwarben ihre Waffen legal.

Sicher ist einzig, wie schwierig es ist, diese Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Zuerst müsste sich die Politik von ihren leeren Parolen lösen, die Dinge ansprechen – und schier Unmögliches anpacken. Schwarze Quartiere brauchen gute Jobs. Wirkung zeigt, wenn die Polizei zirkulierende Waffen zurückkauft. Besonders wichtig: Kinder benötigen ein intaktes Zuhause, Schüler bessere psychologische Stützen. Wer ohne solche Zuneigung aufwächst, fühlt sich mit einer geladenen Pistole in der Hand erstmals richtig stark.

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