«Versetzt mir Stiche ins Herz»
Aargauer OP-Fachfrau wegen Impf-Post angefeindet

Operationsfachfrau Selina Baumgartner (27) wird derzeit auf Facebook angefeindet. Der Grund: Sie machte ihre Corona-Impfung öffentlich bekannt.
Publiziert: 12.01.2021 um 10:51 Uhr
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Aktualisiert: 03.02.2021 um 20:43 Uhr
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Auf Facebook wird OP-Fachfrau Selina Baumgartner (27) Opfer von Impfgegnern.
Foto: Screenshot Facebook / Selina Baumgartner

«Genmanipulation», «Übelste Propaganda», «Chippen und auch noch jubeln». Die Reaktionen, die Selina Baumgartner (27) in den sozialen Medien derzeit an den Kopf geworfen werden, sind heftig. Der Grund: Die Operationsfachfrau macht am Freitag mit einem Bild auf Facebook öffentlich, dass sie sich gegen das Coronavirus impfen liess.

Die Mitarbeiterin des Kantonsspitals Aarau liess sich freiwillig impfen. Gegenüber der «Aargauer Zeitung» sagt sie: «Für mich stand es ausser Frage, dass ich das tun werde.» Mit den heftigen Reaktionen in den sozialen Medien hingegen habe sie allerdings nicht gerechnet: «Es wurden dabei Äusserungen gemacht, die mich regelrecht schockiert haben», erzählt sie.

Sie habe den Post öffentlich gemacht, um die Folgen der Pandemie aufzuzeigen. Vor allem die Zeit über Weihnachten habe sie mitgenommen: «Das waren die schlimmsten Nächte in meinem Berufsleben. Da hat es mich manchmal derart durchgeschüttelt, dass ich vor Erschöpfung geweint habe.»

Reaktion mit emotionalem Post

Baumgartner entscheidet sich für eine Reaktion auf die Impfgegner und Corona-Skeptiker. Seit der Pandemie arbeite sie mehrheitlich in der Covid-Intensivstation, sehe das Leid täglich hautnah, schreibt sie in einem neuen Beitrag. «Unsere Hilfe ist nicht immer erfolgreich. Das wissen die Erkrankten, und das weiss auch ich. Mein Mitgefühl versetzt mir Stiche ins Herz», schildert sie die Zustände.

«Als ein Patient in der Nacht im Sterben lag, durften ihn seine Angehörigen ausnahmsweise, mit voller Schutzmontur und kurzer Hygiene-Schulung, besuchen. Sie durften ihren Angehörigen in den Tod begleiten. Ihre Trauer war für mich kaum aushaltbar. Laut weinten sie, sie schrien ihre Trauer hinaus, sie flehten und beteten. Ich unterdrückte müde meine Tränen und versuchte, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Solche Situationen geschehen immer wieder.»

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Sarkastisch fügt sie an: «Äusserst beeindruckt war ich von dem Schreiner, der mich über die Impfung aufgeklärt hat. Ich bin zwar beruflich im Gesundheitswesen tätig, habe offenbar aber KEINE Ahnung, wie so eine Impfung funktioniert!», schreibt sie auf Facebook.

«Ich möchte wieder leben»

Die Reaktionen auf den neuen Post lassen nicht lange auf sich warten. Die meisten Kommentare fallen wohlwollend aus, viele loben Baumgartner für den Mut. «Danke für deinen Einsatz und deine klaren Worte», schreibt eine Nutzerin. Andere hingegen greifen die Operationsfachfrau weiter an. «Trotz Überforderung noch Zeit zu posten? So schlimm kann es nicht sein!»

Und so greift Baumgartner, allen Reaktionen zum Trotz, auch weiterhin auf Facebook zurück. Sie wolle endlich ihre Eltern wieder umarmen, ein Feierabendbier geniessen, mit Freunden in eine Bar oder ins Restaurant essen gehen. Als passionierte Sängerin vermisse sie es, auf der Bühne zu stehen.

Sie verstehe die Sorgen, könne auch nachvollziehen, dass man Angst vor einer Impfung habe. Aber sie betont: «Liebe Freunde, ich kann euch sagen: Jede medizinische Behandlung ist mit Nebenwirkungen verbunden. Egal, ob ihr Schmerztabletten zu euch nehmt, eure Lippen zu Gummischlauchbooten umformen lässt, ob ihr einen Hirntumor rausoperiert, egal welche Behandlung – die Nebenwirkungen sind da. Immer.»

Und sie versucht, allen Skeptikern nochmal deutlich zu machen, dass mit der Krankheit nicht zu spassen ist. Sie schreibt: «Das Coronavirus ruft eine ganz, ganz schlimme Krankheit hervor. Ich habe sie jeden Tag vor Augen.» Sie lasse sich impfen für die Gesellschaft, schreibt Baumgartner abschliessend. «Und: Für mich selbst. Ich möchte wieder leben.» (zis)

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