Erhan Asma (†24) wird während der Arbeit an Streichmaschine zerdrückt – sein Vater arbeitet bei der gleichen Firma
«Er starb am Arbeitsplatz, der jahrzehntelang meiner war»

Der Solothurner Erhan Asma (†24) gerät am Mittwoch in eine Streichmaschine. Das Gerät zerdrückt ihn. Nur wenig später ist er tot. Sein Vater arbeitete jahrelang genau an der gleichen Maschine. Dass sein Sohn nicht mehr lebt, ist für Erol Asma ein Schock.
Publiziert: 05.02.2022 um 00:35 Uhr
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Aktualisiert: 05.02.2022 um 11:03 Uhr
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Der Solothurner Erhan Asma (†24) starb in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch bei einem Arbeitsunfall in der Firma Lonstroff in Hallwil.
Foto: Zvg
Nicolas Lurati

Einst lernte Erol Asma (59) aus Schönenwerd SO seinen Sohn bei der Arbeit an. Voller Stolz zeigte er Erhan (†24), wie die Gewebestreichmaschine funktioniert. Seit über drei Jahrzehnten arbeitet er für die Firma Lonstroff. Und schliesslich stiess sein Junior dazu.

Doch die gemeinsamen Zeiten sind vorbei. Sein Sohn ist tot. Er starb bei einem Unfall in Hallwil AG in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch an der Streichmaschine.

Der Vater kann noch immer nicht fassen, was passiert ist. Wie genau sich die Tragödie abspielte, weiss er nicht. Aber er kennt die Maschine bestens. «Seine Hände gerieten wahrscheinlich in die Maschine hinein. Dann die Arme. Dann der ganze Körper. Er konnte sich nicht mehr befreien», sagt Asma zu Blick. Die Streichmaschine habe seinen Sohn hineingezogen. Das seien seine logischen Schlussfolgerungen. «Das Arbeitsgerät hat ihn zerdrückt.»

Plötzlich klingelte in der Nacht das Telefon

Erhan habe keine Chance gehabt. Er sei niedergekniet und habe keine Hand frei gehabt, so der Vater. «Sonst hätte er den oben liegenden Notstopp wohl erreichen können.» Unten an der Maschine habe es keinen Notstopp.

Zum Zeitpunkt des Unfalls sind Erol Asma und seine Frau zu Hause. Plötzlich klingelt das Telefon um 0.42 Uhr. Ein Unfall sei passiert. Und Erhan Asma schwer verletzt. «Ich bin sofort zur Firma gefahren», sagt der Vater. Als er vor Ort ankommt, steht bereits der Krankenwagen da. «Ich durfte nicht in die Ambulanz hinein. Ich habe Erhan durchs Fenster des Wagens gesehen, konnte aber kein Lebenszeichen mehr von ihm erkennen. Ausser den womöglich eingebildeten letzten Atemzug. Seine Augen waren zu.»

Keine Mängel an Maschine festgestellt

Dem Vater bietet sich ein schreckliches Bild. «Sein Kopf war zerdrückt, sein Gesicht blau angelaufen. Mehrere innere Organe kaputt.» Er kann sich nicht erklären, wie es zu diesem Unfall kommen konnte.

«Die Anlage wurde auf den neusten Stand gebracht, die Maschine renoviert. Nach dem Unfall wurde die Maschine kontrolliert – alles funktionierte.» Lonstroff bestätigt auf Blick-Anfrage: «Die Suva hat die Maschine bereits am Tag nach dem Unfall inspiziert, keine Mängel festgestellt und wieder für den Betrieb freigegeben.»

Vater Erol Asma ist zwar erschüttert, aber Groll gegen den Betrieb hege er keinen. «Die Firma war für mich wie ein Zuhause. Ich habe dort viel erlebt. Ich habe meine Kinder dank der Firma ernähren können.»

Doch er werde wegen der Tragödie keinen Fuss mehr in sie setzen. «Ich würde immer wieder mit den Bildern aus jener Nacht konfrontiert werden, als mein Sohn dort starb.» Sein trauriges Fazit: «Mein Sohn starb an jenem Arbeitsplatz, der jahrzehntelang meiner war.»

Sohn wird in Antalya beerdigt

Nach der Tragödie seien bei der Abdankung in der Schweiz zahlreiche Freunde und Bekannte vorbeigekommen, erzählt Erhans ältere Schwester Dilek Özer (33). «Mein kleiner Bruder war sehr beliebt. Er war so ein freundlicher Mensch.» Und sie erzählt von der Kindheit: «Er war nicht nur mein Bruder, sondern auch wie ein Baby für mich. Und er war damals ein Schlitzohr.»

Vater Erol erinnert sich an Erhans letzten Wunsch: «Meine Frau und ich wollen irgendwann wieder in die Türkei auswandern, nach Antalya. Mein Sohn sagte, er wolle auch mitkommen, sobald wir gehen. Denn er könne es sich nicht vorstellen, ohne die Eltern in der Schweiz zu bleiben.» Jetzt erfüllen die Eltern dem verstorbenen Sohn den Wunsch: Er wird in Antalya beerdigt.

Auch bei der Firma ist das Mitgefühl gross: «Wir alle, Mitarbeiter und Management, sind tief betroffen von diesem schrecklichen Unfall. Es ist unsere erste Priorität, uns um die Betroffenen zu kümmern», sagt Lonstroff-CEO Maurice Hasani zu Blick.

Der Chef betont, dass die Arbeitsplatzsicherheit für Lonstroff oberste Priorität habe. «Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter muss beispielsweise jedes Jahr von neuem ein Sicherheitsprotokoll unterschreiben und bestätigen, dass er alle Sicherheitsmassnahmen verstanden hat.»

Vor zwei Jahren wurden Frau bei Lonstroff Finger zerquetscht

Für alle Prozesse gebe es klar definierte Arbeitsabläufe. «Auch an dieser Maschine», so der CEO. «Was in der fatalen Nacht genau falsch gelaufen ist, ist jetzt Gegenstand der Ermittlungen. Sollte sich zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, die Sicherheit zu erhöhen, werden wir diese Möglichkeiten selbstverständlich ergreifen.»

Es ist nicht der erste Unfall in der jüngeren Vergangenheit der Firma Lonstroff: Anfang 2020 zerquetscht eine Stanzmaschine mehrere Finger der damals 29-jährigen Agneza T.* aus Muri AG.

Die beiden Unfälle hätten aber keine Gemeinsamkeiten, erklärt Firmenboss Hasani. «Beim Unfall vor zwei Jahren war die Ursache eine Dritteinwirkung. Das können wir im vorliegenden Fall ausschliessen, da der verunglückte Mitarbeiter – notabene aus Sicherheitsgründen – in einem abgesonderten Raum tätig war, in dem sich nur eine Person aufhält und Zutritt hat.» Auf der besagten Maschine habe es in 30 Jahren noch nie einen Zwischenfall oder eine Beanstandung gegeben.

* Name geändert


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