Auf einen Blick
- Senioren und Autofahren: Abwägung zwischen persönlicher Freiheit und Verkehrssicherheit
- Regina G. (84) fährt seit 60 Jahren unfallfrei und möchte weitermachen
- Ab 75 Jahren müssen Senioren alle zwei Jahre medizinische Tests absolvieren
Michael Geissbühler (77) ist sauer. Denn er muss seinen Führerschein abgeben. Geissbühler fällt beim sogenannten Multiplen Wachbleibetest (MWT) durch. Der hat es in sich: Viermal 40 Minuten soll er reglos in einem dunklen Raum sitzen – ohne sich zu bewegen oder Geräusche zu machen. Das Ziel: wach bleiben. Zwar schafft er alle Durchgänge. Doch die Sensoren registrieren zehn sogenannte Microsleeps – kurze Sekundenschlafphasen. Die brutale Konsequenz: Der Lappen ist weg. Für immer!
Geissbühlers Geschichte schlägt hohe Wellen. Alter und Autofahren ist ein Reizthema. Es geht um die Abwägung zwischen persönlicher Freiheit auf der einen Seite und Sicherheit im Strassenverkehr auf der anderen. Blick will es von den Senioren selbst wissen. Wie sehen sie die Frage nach dem Autofahren im Alter?
Seit 60 Jahren unfallfrei unterwegs
Im Kanton Aargau steigen wird deshalb in den Cadillac von Regina G.* (84). Sie fährt seit über 60 Jahren Auto. Sie sagt: «Bis jetzt hatte ich auch noch nie einen Unfall, ich hoffe, das bleibt so.»
Seit Regina G. 70 Jahre alt ist, muss sie alle zwei Jahre einen medizinischen Test machen. Inzwischen wurde das Alter für den ersten Test auf 75 Jahre heraufgesetzt. «Das letzte Mal war vor einem Jahr», erzählt sie, während sie ihre Einkäufe in den Kofferraum lädt. Daran, das Permis abzugeben, denkt sie gar nicht. «Ich fühle mich nicht so alt im Kopf, wie ich auf dem Papier bin», sagt die Seniorin und weiter: «Sicher fühle ich mich auf der Strasse noch sicher.»
G. lacht, dann wird sie ernst. «Das grösste Problem auf der Strasse, aber nicht nur dort, ist der zunehmende Egoismus. Jeder schaut nur für sich, Regeln werden oft ignoriert.»
Solange das Hirn klar ist
Vorläufig will die 84-Jährige auch weiterhin Auto fahren. «Solange das Hirn klar ist, will ich entscheiden, wann ich den Lappen abgebe», sagt Regina G. Sollte sie merken, dass es nicht mehr geht, werde sie den Führerschein abgeben. Doch diesen Moment sieht Regina G. für sich noch nicht gekommen. «Wenn es soweit ist, muss ich mich halt neu organisieren.»
Und das wird nicht einfach. Ihr Dorf sei sehr weitläufig, ausserdem wohne sie am Hang. «Wenn ich nicht mehr Auto fahren kann, brauche ich einen Rollator», sagt G. halb im Scherz. Denn auf den ÖV werde sie nicht setzen können. «Der Bus fährt nicht zu mir hoch. Zur nächsten Haltestelle brauche ich 20 Minuten zu Fuss.» Wie sie dann ihre Einkäufe nach Hause bringen soll, weiss die Seniorin nicht.
Regina G. hofft deshalb, dass sie noch lange selbst Auto fahren kann. «Wenn es geht, fahre ich, bis ich 90 bin», sagt sie. Damit das klappt, fährt Regina G. schon lange mit Automatikgetriebe. «Vor allem, wenn der Verkehr nicht flüssig läuft, ist das einiges bequemer.» Und sie hat noch einen Tipp: «Um auch im Alter mobil zu bleiben, ist es enorm wichtig, dass man regelmässig fährt.»
Ausser es tritt jenes Szenario ein, das sich Medienpionier Roger Schawinski (79) vorstellen kann. «Ich fahre bestens Auto, mache all die obligatorischen Tests, immer mit wunderbarem Resultat. In fünf Jahren werden wir selbstfahrende Autos haben. Lange bevor ich mein Billett freiwillig abgeben würde», sagt Schawinski zur Debatte um Senioren im Strassenverkehr zu Blick. Es ist zu hoffen, denn die Möglichkeiten von Oswald Grübel (81), Ex-CEO von UBS und CS, hat nicht jeder. Er sagt: «Sollte ich oder meine Partnerin aber feststellen, dass ich nicht mehr 100 Prozent fit zum Fahren bin, würde ich auf einen Wagen mit Chauffeur umstellen.»
*Name bekannt