Ein schmuckes Einfamilienhaus in Flumenthal SO. Davor steht ein schwarzer Dodge Ram. Über einem Garagentor hängt ein altes Schild eines Patrouillenfahrzeugs. Hier wohnt Martin Herrmann (65). «Nur hereinspaziert», sagt er freundlich und nimmt Blick mit in seine gute Stube.
Herrmann ist der berühmteste Gefangenen-Transporter der Schweiz. «Der Transporter oder Tinu haben sie mich bei der Kantonspolizei Solothurn immer genannt», sagt er. «Genannt» deshalb, weil der Mann mit den Markenzeichen Glatze und Schnauz nun in Pension geht. Er hätte gerne weitergemacht, doch Teilzeit sei in dem Beruf nicht möglich.
Ein Job-Inserat bringt ihn zur Kantonspolizei
Begonnen hat alles vor 21 Jahren. Der gelernte Autoersatzteil-Verkäufer sah im Jahr 2000 ein Inserat für den Job als Gefangenen-Transporter. «Ich dachte, das wäre noch eine grobe Sache», sagt Herrmann. Er bewarb sich und fing im November 2000 bei der Kapo Solothurn an. Seine Hauptarbeitsgeräte: ein VW-Transporter, Hand- und Fussfesseln, Schlagstock und Pfefferspray. «Ich war nie richtig bewaffnet. Das geht auch nicht. Es wäre zu gefährlich, falls jemand danach greift.»
Gefährlich waren ihm gegenüber die rund 15'000 Kriminellen, die er in all den Jahren transportiert hatte, nie. Einer sei ihm nach einem Urteil zwar mal an die Gurgel, sagte der Ex-Hobby-Boxer zu Blick. Doch der sei schnell «gebodigt» gewesen. Und einmal sei ein Häftling bei einem Zahnarzttermin davongerannt. Aber auch der habe nach ein paar Hundert Metern die Flucht aufgeben müssen. Für ihn habe es auch keinen Unterschied gemacht, ob er einen Dreifachmörder oder einen Dieb transportieren musste.
Erst die Büroarbeit, dann der Transport
Vor einem Transport habe jeweils Büroarbeit angestanden. «Ausser wenn ich eine Ausschaffung hatte», so Herrmann. Gespräche mit den Gefangenen hätten selten stattgefunden. Er habe auch nie Angst gehabt, sie jeweils vor einem Transport gefilzt und ihnen nur gesagt, dass alles ruhig ablaufen werde. Mitleid nach einem Urteil habe er «nie» gehabt – auch Tränen flossen bei Herrmann keine.
Ein Erlebnis ist ihm dafür in besonders schöner Erinnerung. «Ich musste mal einen Russen ausschaffen», erinnert er sich. Da habe er diesem 60 Dollar und seine Adresse mit in den Flieger gegeben. In der Hoffnung, dass der Ausgeschaffte ihm eine Russenmütze schickt. «Ich habe schon gar nicht mehr daran gedacht, als nach ein paar Monaten tatsächlich ein Paket kam – mit gleich drei Russenmützen drin!» Es habe ihn berührt, dass der Mann das Geld nicht für sich behalten habe.
Abschalten mit Alpakas
Abschalten konnte Herrmann in all den Jahren gut, wie er sagt. Dabei habe ihm vor allem das Hobby, das er seit über zehn Jahren mit seiner Frau Barbara (58) pflegt, geholfen: Trekking mit Tieren. Das Ehepaar besitzt 17 Alpakas, drei Lamas, fünf Esel und führt regelmässig Touren mit Interessierten durch. Urteil des Transporters: «Da kann man richtig gut abschalten.» Daheim hat er zudem drei Schildkröten, für die er sorgt.
Herrmann sagt, er habe trotz seines speziellen Jobs auch immer gut schlafen können. Ausser einmal, als er 56 Jahre alt war. Da habe er nachts eine Erleuchtung gehabt – inspiriert von Taser-Einsätzen in den USA, die er zuvor mehrmals sah. «Am Morgen sagte ich dann zu meiner Frau: Ich muss mich tasern lassen. Einfach so.» Er habe diesen Wunsch dann auch dem Chef der Sondereinheit mitgeteilt. Dieser habe bloss geantwortet: «Ich habe immer gesagt, du bist kein Gramm normal.» Und gefragt: «Willst du nicht zu einem Psychologen?»
Freiwillig tasern lassen
Doch Herrmann blieb dabei, kriegte von der Kapo Solothurn die Bewilligung – und durfte sich unter ärztlicher Aufsicht und mit Helfern tasern lassen. «Ich liess mich vorher aber nicht untersuchen», ergänzt er. Grund: «Einen Täter, der getasert wird, kann man vorher ja auch nicht untersuchen.»
Gesagt, getan. «Mir wurden freiwillig und mit meinem Einverständnis 50’000 Volt in den Rücken geschossen. 19 Mal pro Sekunde, fünf Sekunden lang. Es war abnormal!», so Herrmann. «Ich dachte: Wenn es nicht aufhört, sterbe ich.» Und wenn er nicht festgehalten worden wäre, «hätte ich mich wohl überschlagen». Er sei dann zu Boden gegangen, aber alles ging gut aus. Er übergibt Blick das Beweisvideo – und freut sich auf die Veröffentlichung. «Am Ende waren meine Werte fast besser als vorher», grinst Herrmann. Und: Er sei danach normal zur Arbeit gegangen.
Die Familie freut sich auf mehr Freizeit
Damit ist es jetzt vorbei. Herrmann musste seine sieben Sachen bei der Kapo Solothurn abgeben und die vielen Zeitungsartikel, auf denen er mit seinen bösen Buben zu sehen ist und die seine Kumpels schon vor ein paar Jahren auf ein Plakat verewigt hatten, nach Hause nehmen. «Ich habe nur meine Handschellen behalten», sagt er. Was wird er vermissen? «Am Morgen aufzustehen und zur Arbeit zu gehen.»
Grosse Freude herrscht dafür bei seiner Frau Barbara, die morgens Teilzeit auf einem Büro arbeitet und ihren «Tinu» am Nachmittag nun für sich hat. Aber auch für seine beiden Söhne Kevin (28) und Christoph (31) hat Martin Herrmann jetzt mehr Zeit. Mit einem guten Gefühl, denn: «Ich hatte meinen Traumjob – und würde ihn wieder wählen.»