Auf einen Blick
- 200 Jahre altes Haus steht moderner Überbauung im Weg
- Hausbesitzer beschuldigt Gemeinde der juristischen Schikanen und Hausfriedensbruch
- Kanton Aargau kritisiert Gemeinde für mehrere eklatante Fehler
Christian Mühldorfer (59) steht im Weg. Oder besser gesagt: sein Haus. Auf dem Sternenplatz, der im Besitz der Gemeinde Obersiggenthal AG ist, plant die Gemeinde nämlich eine neue Überbauung. Mühldorfer ist Eigentümer eines direkt angrenzenden, 200 Jahre alten Hauses, samt Land. Laut Grundbuch darf er zudem als Hausbesitzer 14 Parkplätze nutzen, die auf dem Gebiet der Gemeinde vor seinem Haus sind.
Nur: Sein Haus und die Parkplätze nehmen einen Teil der Fläche ein, die für die geplante Überbauung infrage käme. Heisst für die Gemeinde: Der 59-Jährige und sein Haus müssen weg.
Nachdem die Gemeinde mit Kaufversuchen aber gescheitert ist, versucht sie Mühldorfer mit juristischen Spitzfindigkeiten aus seinem Haus zu ekeln, klagt er: «Weil ich nicht verkaufen will, macht man mich jetzt fertig!»
Die Gemeinde ging so weit, dass sie vom Kanton Aargau scharf kritisiert wurde. Die Vorwürfe wiegen schwer: unterlassene Protokolle, missbräuchlich verwendete «vorsorgliche Massnahmen» und Falschinformationen. Zudem wirft Mühldorfer der Gemeinde Hausfriedensbruch vor und hat diese angezeigt. Wie konnte es zur Eskalation kommen?
2015 kauft Christian Mühldorfer das Gebäude am Sternenplatz. Neben der Bar «3-Sternen» im Erdgeschoss, verfügt dieses in den oberen Stockwerken über Zimmer, die günstig als Studios vermietet werden.
Kurz nach Studie: Gemeinde scheitert mit Hauskauf bei Mühldorfer
2019 gibt die Gemeinde Obersiggenthal eine Studie zum Bau der Überbauung in Auftrag. Sie erarbeitet vier Varianten: «In zwei davon wurde mein Haus liquidiert. Davon erfahren habe ich aber erst Jahre später», ärgert sich Mühldorfer.
Die Gemeinde versucht bald darauf, das Gebäude zu kaufen: «Immer wieder wurde Druck auf mich ausgeübt, einen Kaufpreis zu nennen.» Also nennt er einen Preis, der deutlich über dem Wert der Liegenschaft lag: «Ich hatte kein Interesse zu verkaufen. Danach gab es ein Jahr keinen Kontakt mehr.»
Dafür fangen die juristischen Querelen an. Noch 2019 muss Mühldorfer eine nachträgliche Baueingabe einreichen, für Umbauten, die lange vor seiner Zeit passiert sind. Er ärgert sich: «Ich habe die Pläne dennoch geschickt.»
Die Gemeinde ignoriert seine Baubewilligungseingabe gut drei Jahre lang, bis 2023. Und: «Nach einem Gespräch wurden mir Umbauten vorgeworfen, die nicht stattgefunden haben!» Zum Beispiel der Einbau von Küchen und Nasszellen in einigen Zimmern.
Möglicher Hausfriedensbruch
Zwei Monate später vereinbaren die Gemeinde und Mühldorfer eine Brandschutzkontrolle. Mühldorfer verpasst den Termin, woraufhin sich zwei Behördenvertreter Zugang verschaffen, indem sie warten, bis eine Mieterin die Tür aufschliesst, und diese danach aufhalten, wie in einem Überwachungsvideo zu sehen ist. Mühldorfer hat mittlerweile Anzeige erstattet.
Im März 2024 der Schock: «Aufgrund der Begehung, die ohne mich stattfand, wollte mir die Gemeinde per vorsorglichen Massnahmen die Neuvermietung meiner Zimmer verbieten. Zudem wurde mir die aufschiebende Wirkung entzogen.» Was bedeutet, dass er sich bis zum Abschluss des Verfahrens nicht beschweren dürfe. «Das kommt einer Enteignung auf Raten gleich!», sagt Mühldorfer, «Mir wurden 45 Tage Zeit gegeben, um eine Baubewilligung nachzuliefern. Hätte ich dies nicht geschafft, wäre ich jetzt wohl Konkurs.» Mühldorfer beschwert sich schriftlich beim Kanton Aargau.
Kanton rügt Gemeinde scharf
Die Antwort des Kantons ist ein Verriss. Die Gemeinde habe unterlassen, die Besichtigungen zu protokollieren, womit eine Grundlage für die Entscheidungen fehle. Die Behauptungen zum Thema Brandschutz seien pauschal. Es fehle eine konkrete Bestandsaufnahme.
Zudem: Die vorsorglichen Massnahmen, die Mühldorfer eine Neuvermietung seiner Zimmer verboten hätten, seien unangemessen und unverhältnismässig. Würde eine Gefährdung in Sachen Brandschutz bestehen, hätte die Gemeinde bereits vor Jahren eingreifen müssen, nicht zuletzt, weil die Zustände im Gebäude den Behörden Jahrzehnten bekannt waren, so der Kanton.
Indirektes Schuldeingeständnis der Behörden
Die Gemeinde versucht, sich auf Blick-Anfrage hin zu wehren. Die Besichtigungen seien informell gewesen, weswegen keine Protokolle erstellt wurden. Zudem habe man die vorsorglichen Massnahmen nur getroffen, um die Situation abzuklären. Zu den anderen Vorwürfen könne die Gemeinde aufgrund des hängigen Verfahrens aber nichts sagen.
Am 12. September meldet sich die Gemeinde dann zum bisher letzten Mal bei Mühldorfer: «Wir verzichten auf Rechtsmittel gegen den Entscheid des Kantons.» Eine Ohrfeige für die Gemeinde. Man wolle aber zeitnah eine Begehung der Liegenschaft organisieren, so wie vom Kanton verlangt.
Der Streit geht damit zurück auf «Feld 1». Und für Christian Mühldorfer geht der Kampf weiter.