1989 ereignet sich im Sportunterricht an der Schule der Gemeinde Niedergösgen SO ein tragischer Unfall. Dem damals achtjährigen Roger Hediger fällt ein ungenügend befestigtes Handballtor auf den Kopf. Die Ärzte retten sein Leben, doch nach dem Unfall hört er plötzlich auf zu wachsen und trinkt exzessiv Wasser. Die Diagnose: Seine Hirnanhangdrüse hat Schaden genommen. Er ist unter anderem auf Wachstumshormone angewiesen, die mehr als 1000 Franken pro Woche kosten.
Die Folgen des Unfalls belasten die Familie – finanziell und psychisch. Der heute 42-Jährige braucht Betreuung, muss regelmässig ins Spital gefahren werden. Die Familie kämpft mit allen Mitteln dafür, dass Roger Schadenersatz zugesprochen bekommt.
Es sollte 27 Jahre dauern, bis eine erste Zahlung erfolgt. Nicht ungewöhnlich, wenn man Fachleute fragt: «Ein Gericht kann einen Haftpflichtigen erst dann zum Ersatz eines Schadens verpflichten, wenn dessen tatsächliche Höhe genügend bestimmbar ist», sagt Matthias Fricker, von der Anwaltskanzlei Fricker Füllemann. Sprich: Hediger muss ein Alter erreichen, in dem er Geld verdienen könnte, damit ein potenzieller Erwerbsausfall überhaupt ausgezahlt wird.
Hediger schaut nach vorne
Dennoch dauerte es länger als üblich. Einer der Gründe: Die Hedigers sind schlecht beraten. Sie wechseln ihre Anwälte mehrmals. Kaum einer der Rechtsvetreter der Familie, ist in der Lage zu helfen. Bis zum Jahr 2015. Der damalige Anwalt der Familie und ehemaliger Bundesdatenschützer Hanspeter Thür wendet sich an die Gemeinde Niedergösgen und bringt diese dazu, dass sie zwei Millionen Franken aus der Unfallversicherung auszahlt.
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Thür verbucht aber nur einen Teilerfolg. Denn: Er errechnet vier Millionen Franken, die Hediger zustünden. Allerdings wird nur die Hälfte ausbezahlt – die Hälfte, die von der Unfallversicherung der Gemeinde gedeckt war. Die Gemeinde stellt sich auf den Standpunkt, dass sie all ihren Verpflichtungen nachgekommen ist.
Während im Hintergrund weiter gestritten wird, schaut Roger Hediger nach vorne: Mit dem Geld aus dem Schadenersatz kauft er sich eine Immobilie. Darin enthalten: Zwei Wohnungen und ein Restaurant. Eine Wohnung bewohnt Hediger selbst, die zweite vermietet er, genauso wie die Beiz im Erdgeschoss. Es hätte seine Altersvorsorge werden sollen.
Übers Ohr gehauen
Zwischenzeitlich verliebt er sich. In Thailand heiratet er seine heutige Frau, bleibt mehrere Jahre in Asien. Für die Betreuung der Immobilie engagiert er einen lokalen Verwalter, der ihm empfohlen wurde. Innert weniger Jahre häuft dieser aber, laut Aussagen der Familie Hediger, eine sechsstellige Summe an Steuerschulden an. Hediger vertraut ihm und bekommt von den wachsenden Problemen nichts mit, zumindest bis vor einigen Monaten.
Das Konkursamt des Kantons Solothurn wird 2022 aktiv und verlangt die Nachzahlung von deutlich über 100’000 Franken seiner Steuerschulden. Mittlerweile hat Hediger allerdings den Grossteil seines zugesprochenen Schadenersatzes aufgebraucht und kann die Summe nicht stemmen. Das Konkursamt verfügt die Zwangsversteigerung der Immobilie. Roger Hediger steht vor einem Scherbenhaufen. «Für den absoluten Miniumumpreis von 564'000 Franken ist die Immobilie verkauft worden», schreibt Vater René einen Tag nach der Versteigerung. Nach Tilgung der offenen Hypothekar- und Steuerschuld, bleibt nichts mehr vom Geld übrig.
Unfähige Juristen und Verwalter haben Roger Hediger über die Jahre im Stich gelassen. Ende Oktober muss er sein Zuhause verlassen. Wo er unterkommt? «Keine Ahnung», sagt Hediger, «Die Gemeinde Gretzenbach, die die Steuerschulden eingetrieben hat, hat mir gesagt, ich solle mich bei einem Obdachlosenheim melden. Wahrscheinlich lande ich in der Sozialhilfe.» Der betroffene Immobilienverwalter wollte gegenüber Blick zum Fall keine Stellung nehmen.