Stolz präsentiert Daniel Gisler (55) aus Remetschwil AG sein linkes Bein. Zu sehen: eine frische Zehn-Zentimeter-Narbe. An dieser Stelle liess sich der ehemalige Börsen-Manager vor rund zehn Tagen Metallplatten, Nägel und Schrauben aus seinen Knochen entfernen. Die waren ihm nach einem Unfall eingesetzt worden, bei dem er Schien- und Wadenbein gebrochen hatte. Eigentlich ein Standard-Eingriff.
Doch wie sich der Aargauer operieren liess, ist sensationell und am Kantonsspital Baden (KSB) eine Premiere: «Ich liess mir mein Schienbein aufschneiden – ohne Narkose!», sagt Gisler. Der Aargauer Chuck Norris behalf sich einer anderen Methode: der Hypnose. Doch wie kam es dazu?
Blutiger Anfänger
Von April bis Oktober 2023 machte Gisler eine Ausbildung zum Hypnose-Therapeuten. Dort erfuhr er: «Durch Hypnose kann man auf das Schmerzempfinden einwirken. Auch chirurgische Eingriffe sollen so ohne Narkose möglich sein.» Als dann die eigene Operation anstand, wollte er es wissen: Kann ein Hypnose-Anfänger wie er so etwas bereits durchziehen?
Gisler fragte das KSB an, ob eine Operation ohne Narkose – nur in Hypnose – möglich ist. Noch bevor Gisler das Go vom Spital erhielt, startete er mit den Vorbereitungen.
«Zunächst habe ich mir Hypnose-Hilfe geholt, weil ich jemanden brauchte, der mich während der OP in schwierigen Situationen unterstützen kann», sagt Gisler. Also fragt er in der Whatsapp-Gruppe der Kursteilnehmer nach einem Begleiter. Sofort meldete sich seine Kollegin Lajla Tahic (30). Zusammen bereiteten sie sich auf die Operation vor. Es folgten mehrere gemeinsame Hypnose-Sitzungen. «So haben wir ein Gespür füreinander entwickelt», erklärt Gisler.
Schmerzen zu Hause getestet
«Wir haben während diesen Sitzungen sogar getestet, ob ich wirklich nichts spüre», erklärt Gisler. «Dies, indem sie mit einer Klemme die Haut an meiner Hand immer stärker gepackt hat.» Tahic fügt lachend hinzu: «Ich war nicht zimperlich, schliesslich wollten wir sicher sein, dass er keine Schmerzen wahrnimmt.» Im Hypnose-Zustand habe er nichts gemerkt, erst am Tag danach habe er leichte Schmerzen an seiner Hand verspürt.
Der Eingriff fand schliesslich am Montag, dem 15. Januar 2024, statt. «Erst am Freitag erhielt ich grünes Licht vom Spital», sagt Gisler. «Ich war sehr aufgeregt, habe mich aber enorm auf das Experiment gefreut.»
Im Normalfall wird bei solchen Eingriffen eine Vollnarkose oder zumindest eine Lokalanästhesie durchgeführt. Laut dem KSB wird bei einer solchen Operation «das Bein über eine Länge von zehn Zentimetern bis auf den Knochen des Schien- und Wadenbeins geöffnet».
Eine Stunde in Hypnose
Rund 40 Minuten vor Operationsstart versetzte sich Gisler mit eigenen Audio-Aufnahmen in Hypnose. Ab dann übernahm Lajla Tahic: «Ich sprach immer wieder zu ihm, um ihn in diesem Zustand zu behalten.»
Während der Operation verspürte Gisler zwar einzelne Handgriffe – wie etwa ein Ziehen beim Schnitt, ein Zwicken bei der Verödung und die Stiche beim Zunähen. «Es war aber alles erträglich», so Gisler. Bei grösseren Schmerzen hätte das OP-Team jederzeit mit einer Lokalanästhesie oder einem Abbruch reagieren können. Doch das war nicht nötig: gemeinsam mit seiner Hypnose-Partnerin schaffte er es, eine Stunde lang in Hypnose zu bleiben.
Heikel wurde es erst gegen den Schluss: «In den letzten zehn Minuten wurde es plötzlich heftig», so Gisler. «Der Arzt meinte: ‹Wir sind gleich fertig.› Und ich tauchte durch seine Ansage aus meinem tiefen Zustand auf.» Deshalb verspürte Gisler beim Nähen die meisten Schmerzen. «Doch Lajla schaffte es, mich weiterhin in Hypnose zu behalten.»
Sowohl Gisler als auch Tahic bieten anderen Menschen ihre Hilfe an. Sie beide finden: «Wir würden so etwas immer wieder machen.» Gleichzeitig stellen sie klar: «Eine Operation in Hypnose ist nicht für jeden etwas. Es braucht Übung.»