Sein Geschäftsmodell war so lukrativ wie dreist: Ein heute 42-jähriger Bauunternehmer warb zwischen 2012 und 2016 Moldawen, Ungarn und Bulgaren an, versprach ihnen guten Lohn – und nutzte sie dann als Billigarbeitskräfte aus, um mit tiefen Offerten grosse Aufträge an Land zu ziehen.
Er liess die Männer teils zwölf Stunden pro Tag ohne Schutzkleidung auf dem Bau schuften. Untergebracht waren sie in einer heruntergekommenen Wohnung: die Wände schwarz vom Schimmel, bei Regen tropfte es in die Stube.
Forderten die Arbeiter ihren Lohn ein, beschimpfte er sie und drohte mit dem Elektroschocker. Wenn er überhaupt zahlte, dann zwischen 80 Rappen und neun Franken in der Stunde.
Lieber kaufte er mit den Erträgen einen Ferrari oder flog mit dem Privatjet nach Sardinien.
Der Schweizer musste sich diese Woche wegen Menschenhandels vor dem Bezirksgericht Zürich verantworten. Die Staatsanwältin sagte, seine Arbeiter hätten sich zeitweise zwischen Geld fürs Benzin oder fürs Essen entscheiden müssen. Sie fordert acht Jahre und vier Monate Freiheitsstrafe.
«Beim Kampf gegen die Arbeitsausbeutung stehen wir noch ganz am Anfang»
2021 betreuten Fachstellen gemäss der Plattform gegen Menschenhandel 207 Opfer – 50 Prozent mehr als 2019. Schlagzeilen machte vor allem die Misshandlung von Prostituierten.
Die Ausbeutung von Arbeitskräften aber ist eine bis anhin unterbelichtete Form. In der Kriminalstatistik wird sie überhaupt erst seit 2020 erfasst. Doch auch solche Fälle nehmen zu: Gingen 2020 erst 15 Anzeigen ein, waren es 2021 bereits 40.
Alexander Ott (60), Polizeiinspektor in Bern und Menschenhandelsexperte, sagt: Zwar habe sich betreffend Menschenhandel in den letzten Jahren viel getan. «Aber beim Kampf gegen die Arbeitsausbeutung stehen wir noch ganz am Anfang.»
Die Ermittlungen sind komplex. Im Fall des Bauunternehmers füllen sie 100 Bundesordner, die Staatsanwältin hat 5000 Stunden Telefongespräche ausgewertet, 150 Einvernahmen geführt. Verurteilungen sind dennoch sehr selten.
Ott sagt, Menschenhandel gebe es auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder im Gastgewerbe. Die Schwierigkeit bestehe darin, ihn zu erkennen: Nur wer sucht, findet.
Ermittlerinnen und Ermittlern mangelt es aber offenbar an Sensibilität – das zeigt der Zürcher Fall exemplarisch. Mehrere Arbeiter meldeten sich bereits 2014 bei der Polizei, die aber wies sie entweder weiter oder rapportierte gleich selbst gegen sie – wegen möglicher Verstösse gegen das Ausländergesetz.
Schlimmer noch: Das Schimmelhaus, in dem die Arbeiter lebten, steht gleich vis-à-vis des örtlichen Polizeipostens. Erst als «20 Minuten» 2015 über den Bauunternehmer berichtete, begannen die Ermittlungen.
Klischeevorstellungen spielten hier eine entscheidende Rolle, sagt Ott. Bei Menschenhandel denken viele nicht zuerst an Bauarbeiter oder Spatenstecher. Deshalb, so der Experte, erkennen Polizistinnen und Polizisten Alarmsignale häufig nicht: fehlende Ausweise, gefakte Arbeitsverträge oder überrissene Abzüge für schäbige Unterkünfte.
Der Beschuldigte sei überfordert gewesen
Die Schweiz verabschiedete vor kurzem den dritten Nationalen Aktionsplan gegen Menschenhandel. Er fokussiert neu auf Arbeitsausbeutung und will verstärkt dafür sensibilisieren. Dies auch deshalb, weil eine Expertengruppe des Europarats kritisiert hatte, die Schweiz unternehme in diesem Bereich zu wenig.
Nicht nur Strafverfolger sind in der Pflicht, sondern auch Generalunternehmen auf dem Bau. Der Bauunternehmer, der diese Woche vor Gericht stand, war den Behörden bekannt. Der Anwalt der Opfer sprach von mindestens 70 Anzeigen, Kontrollen, Verhandlungen und Strafverfahren in den letzten Jahren. Er habe weder Abgaben noch Steuern bezahlt, sei privat innert drei Jahren 58-mal betrieben worden. Lief eine seiner Firmen schlecht, liess er sie in Konkurs gehen und gründete in anderen Kantonen eine neue. Mit mehreren Auftraggebern gab es Probleme wegen schlechter Leistungen.
Und doch arbeitete er gemäss Anklageschrift immer wieder mit namhaften Generalunternehmern zusammen – für HRS, Implenia oder die Migros-Pensionskasse. Von manchen erhielt er Aufträge in der Höhe von einer halben Million Franken.
Wie ist das möglich?
Nico Lutz (52), Bausektor-Chef der Unia, sagt, in vielen Bereichen gebe es Handlungsbedarf. «Die Generalunternehmen sind dafür verantwortlich, dass die Mindestarbeitsbedingungen eingehalten werden. Zugleich haben sie auch andere Interessen.»
Denn es seien grundsätzlich die Generalunternehmen, die Preise drücken. Der Konkurrenzdruck sei hoch, und ein Geflecht von Subunternehmern, die Aufträge an weitere Subunternehmer vergeben, mache es schwierig, Transparenz zu schaffen.
Deswegen haben die Sozialpartner in den letzten Jahren eine Datenbank aufgebaut, in der Firmen vermerkt sind, die wegen Verstössen oder offener Forderungen gemeldet wurden: «Wir hoffen, dass die Generalunternehmer nicht mehr so einfach wegschauen können.»
Ob der Schweizer Unternehmer wegen Menschenhandel verurteilt wird, ist noch offen. Sein Verteidiger verlangt einen Freispruch und eine Genugtuung in Höhe von einer Viertelmillion Franken für die entstandene Haft.
Die Arbeiter seien freiwillig in die Schweiz gereist und hätten nicht unter Zwang arbeiten müssen. Die Löhne habe der Beschuldigte nur deshalb nicht bezahlt, weil er überfordert gewesen sei.
Das Urteil wird für Ende März erwartet.
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