Marseille macht Menschen zu Versuchskaninchen
Rap-Konzert mit Corona-Infizierten

Ende März sind in Marseille 1000 Menschen zum Testkonzert geladen. Auch Corona-Infizierte dürfen mitfeiern.
Publiziert: 07.03.2021 um 09:50 Uhr
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Aktualisiert: 23.03.2021 um 14:25 Uhr
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Keine Party, sondern eine Studie: Frankreichs Kulturministerin hat «experimentelle» Konzerte in Marseille und Paris angekündigt.
Foto: imago images/PanoramiC
Camille Kündig

Tausende, die trinken, tanzen, singen – und alles ohne Mindestabstand! Was sich anhört wie eine ferne Erinnerung, soll demnächst in Frankreich Wirklichkeit werden.

Kulturministerin Roselyne Bachelot (74) gab kürzlich grünes Licht für eine Reihe von Coronatestkonzerten. Das Ziel: unter wissenschaftlicher Begleitung zu klären, ob Kulturereignisse vor ­Publikum möglich sind, wenn die ­Hygieneregeln eingehalten werden.

Konzert mit FFP2-Masken und Corona-Test

Ende März will IAM, eine der erfolgreichsten Rap-Gruppen Frankreichs, das Amphitheater Marseilles zum Beben bringen – sofern die Pandemielage nicht «katastrophal» ist. Der Plan: Mit FFP2-Masken ausgestattete Besucher machen vor dem Eintritt einen Corona-Test. Umfunktionierte Schneekanonen desinfizieren die Halle.

Wer das Virus hat, darf allerdings trotzdem rein. «Wir wollen eine realistische Durchmischung», erklärte die Ministerin bei einem ihrer Fernsehauftritte. Konzertbesucher unter 40 und ohne Vorerkrankung bekommen Sitzplätze zugeteilt, von denen sie aufstehen und an Ort tanzen dürfen. Eine Woche nach dem Event steht ein zweiter Stäbchentest an. Im April will man das Experiment noch einen Schritt weiter treiben. Dann soll in Paris ein Konzert mit 5000 stehenden Menschen stattfinden.

Grosskonzert in Barcelona geplant

Diverse Fachleute aus der Event- und Me­dizinbranche befürworten solche Experimente. Sie glauben, dass während eines Konzerts mit «sehr strengem Protokoll» kein erhöhtes Infektionsrisiko besteht. In Leipzig (D), Luxemburg und Barcelona (Spanien) gab es in den vergangenen Monaten ähnliche Testläufe mit ermutigenden Resultaten. In Barcelona ist nun am 27. März ein erstes richtiges Grosskonzert geplant. Anders als in Frankreich waren Corona-Infizierte bei den Testevents allerdings nicht zugelassen – und werden es auch beim kommenden Konzert in Barcelona nicht sein.

Und in der Schweiz? «Wir haben letzten Sommer, als die Clubs offen waren, die Wissenschaft und das BAG immer wieder eingeladen, Forschungen durchzuführen – ­leider ­erfolglos», sagt Alexander Bücheli (45). Der Sprecher der Schweizer Bar- und Club-Kommission betont: «Unsere Türen stehen weiterhin offen.»

Praxistaugliche Strategie wäre wichtiger

Doch: Tests wie in Frankreich wird es hierzulande wohl kaum geben. «Die vorsätzliche Exposi­tion von Personen gegenüber dem Virus ist ethisch heikel», lässt das BAG ­verlauten, dessen Vorsteher Alain Berset (48) zugleich Kulturminister ist. «Das mutet doch etwas nach Doktor Frankenstein an», sagt Didier Trono (65), Virologe und Taskforce-Mitglied: «Was passiert, wenn die Freiwilligen eine starke Covid-Form entwickeln?»

Selbst Christoph Bill (50), Präsident des Branchenverbands der Schweizer Konzert-, Show- und Festivalveranstalter SMPA bleibt vorsichtig: «Solchen Testveranstaltungen, die im Ausland bereits stattgefunden haben oder bevorstehen, lassen sich genügend Informationen entnehmen. Viel wichtiger wäre nun, endlich eine praxis­taugliche Strategie zu de­finieren, wie eine Öffnung für Events stattfinden kann.»

Einen Silberstreifen am Horizont liess vergangene Woche das BAG ­erahnen: Kleinere Kultur­veranstaltungen mit höchstens 300 Personen sollen – falls es die Lage erlaubt – per Ende März wieder möglich sein. Nachtschwärmer müssen sich ­dabei allerdings auf mehr als eine Ausweiskon­trolle einstellen: Abstände und Masken werden ein Muss sein, zudem könnten künftig Tests als Eintrittsbedingung eine Rolle spielen.

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