Das Schulhaus der Privatschule SBW Primaria in St. Gallen war einst eine Beiz – heute ist sie ein Gasthaus des Lernens. So nennt sich die Privatschule, die auf alternative Lehrmethoden setzt. Lehrerin Judith Kühne (41) stillt dort seit neun Jahren den Wissensdurst von insgesamt 60 Schülerinnen und Schülern.
Kühne kennt beide Seiten der Schweizer Bildungslandschaft. Als frischgebackene Lehrerin unterrichtete sie zunächst drei Jahre an einer Volksschule. Seit 16 Jahren gibt sie an Privatschulen Stunden. Beim Pausenkaffee erzählt Judith Kühne von den Unterschieden – und dem Grund für ihren Wechsel.
Eine Alternative, keine Konkurrenz
«Eine Privatschule ist freier und kann neue Lehrmethoden ausprobieren», sagt Kühne. Es sei ein Ort für Schüler, die sich in der Volksschule unwohl fühlen.
«Hier werden die Kinder nicht mit anderen, sondern nur mit sich selbst verglichen», so Judith Kühne. Noten gibt es keine – Rückmeldung und Erfolgserlebnisse aber schon. Sie erzählt, wie ein Mädchen im Schultagebuch blätterte und selbst bemerkte, dass sich ihre Handschrift verbessert hat. Es freute sich wie über einen Sechser.
Auch Klassen gibt es nicht. Die Kinder werden in kleinen Gruppen unterrichtet. Und: Judith Kühne und ihre Kollegen nennen sich Lernbegleiter statt Lehrer.
Von den erprobten Methoden aus den Privatschulen profitiere auch die Volksschule, ist Kühne überzeugt. Sie seien so etwas wie «Laborschulen», wo neue Konzepte erprobt würden. Überhaupt liegt ihr viel daran, die Volksschule nicht anzugreifen. «Die Privatschule ist eine Alternative zur Volksschule, keine Konkurrenz», sagt sie. Ein Schuljahr kostet im Gasthaus des Lernens pro Kind 17'150 Franken.
Gleicher Stoff, alternativ vermittelt
Als Judith Kühne vor zwanzig Jahren die Pädagogische Hochschule St. Gallen besuchte, lernte sie durchaus moderne Lehrmethoden. Im Schulalltag an der Volksschule lautete die Devise danach allerdings: Strikt nach Lehrplan. Die Nähe zum Dorfleben und das tolle Team habe sie an der Volksschule zwar geschätzt. Doch sie musste «alle Kinder über den gleichen Kamm scheren». Heute kann sie viel besser auf einzelne Kinder eingehen.
Die Differenz zwischen Volksschule und alternativer Privatschule erklärt Kühne wie folgt: «Der Stoff ist der gleiche, einfach alternativ vermittelt.»
Nun ist Judith Kühne eher Familienoberhaupt als Lehrerin. «Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist vertrauter», sagt sie und erinnert sich an einen Jungen, der von der Primaria zurück an die öffentliche Schule wechselte und nachsitzen musste, weil er den Lehrer duzte. Er war es gewohnt, mit Lehrern auf Augenhöhe zu sprechen.
Der Tag ist frei für Eigeninitiative
Der Alltag in der Primaria sieht wie folgt aus: Ungefähr zwei Stunden am Tag sind den Grundfächern Mathe, Französisch und Deutsch gewidmet. Wer mehr Zeit investieren möchte, kann dies tun. Ansonsten ist der Tag frei für Eigeninitiative. Die Räume gleichen eher beruflichen Lehrbetrieben als einer Bildungsstätte. Es gibt eine Malecke und eine Gasthausküche.
In der einstigen Wirtsstube dreht ein Junge selber einen Film.
Im Verhalten unterscheiden sich die Kinder kaum von jenen aus der Volksschule. Im Musikunterricht wird dies besonders deutlich. Die Lieder sind altbekannt, auch ein Volksschüler könnte mitsingen. Der Volksschlager «Un kilomètre à pied» – mitsamt der Bitte «schneller, schneller» – ist in aller Kindermunde. Zwei Krähenvögel werden für ihre Lautstärke gerügt und eine Leseratte möge beim Singen doch bitte den Comic weglegen. Kinder, wie man sie aus der Volksschule kennt.
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