«Wir kochen weiter», steht in roter Farbe auf einem Schaufenster an der Badenerstrasse, wenige Meter weiter liegen abgebrannte Container auf dem Asphalt, und bei der Kantonalbank sind die Scheiben eingeschlagen. Am Samstag letzter Woche zogen mehr als 1000 Protestierende gegen die Wohnungsnot durch Zürich – die unbewilligte Demo war eine Reaktion auf die Räumung des jahrelang besetzten Koch-Areals. Gewaltbereite hinterliessen dabei eine Spur der Verwüstung, während die Polizei, so unterbesetzt wie überfordert, die Linksextremen weitgehend unbehelligt gewähren liess.
Vorläufige Bilanz: ein verletzter Polizist, vier Festnahmen und 100 Fälle von Sachbeschädigung. Die Schadensumme liegt deutlich über 500'000 Franken.
Man sei «überrascht» gewesen von der Gewalt, erklärte die Polizei danach und begründete ihre ausgebliebene Intervention mit der angespannten Personallage sowie mit einem zweiten Grosseinsatz zur gleichen Zeit. Darüber hinaus nimmt sie nicht Stellung.
Ein langjähriger Kenner der Szene hat dafür kein Verständnis: «Im Nachgang zu grösseren Räumungen kam es am Folgewochenende fast immer zu Demonstrationen mit grossem Eskalationspotenzial.»
Lage falsch eingeschätzt
Spezialisierte Mitarbeitende liefern vor jeder Demonstration eine Lageeinschätzung, nach der sich das Aufgebot der Einsatzkräfte richtet. Je besser die verfügbaren Informationen, desto besser die Einschätzung. Doch hier liegt offenbar das Problem: Der Stadtpolizei Zürich fehlen dafür wichtige Informationen.
«Die Stadtpolizei ist nicht mehr so nah an der Szene wie früher», sagt der langjährige Szenekenner. Der Grund: In den letzten Jahren habe man vermehrt auf Terrorabwehr und Dschihadismus fokussiert.
Die Fehleinschätzungen könnten auch mit einer Umstrukturierung zusammenhängen: Bis vor wenigen Jahren finanzierte der Schweizer Nachrichtendienst 500 Stellenprozente bei der Zürcher Stadtpolizei. Die Extremismus-Spezialisten meldeten «sicherheitsrelevante Ereignisse» wie Anschläge und gewalttätige Demos nach Bern und übernahmen Staatsschutzaufgaben.
Heute übernimmt die Kantonspolizei diese nachrichtendienstlichen Abklärungen – und die Stadtpolizei ist bei ihrer Lagebeurteilung darauf angewiesen, dass die kantonalen Kollegen sie informieren. Diese Zusammenarbeit jedoch funktioniert offenbar nicht immer reibungslos, wie eine andere Quelle bestätigt. Es sei von persönlichen Kontakten abhängig, wie gut der Austausch funktioniere, sagt auch der langjährige Szenekenner.
Schon im Februar 2022 war es der Polizei nicht gelungen, Krawalle zu verhindern. Damals hatte ein linkes Bündnis zu einer unbewilligten Demo aufgerufen. Sie stand unter dem Motto «Züri nazifrei» und hatte mehrere Tausend Teilnehmer. Ein kleiner, militanter Kern randalierte an mehreren Orten, griff Einsatzfahrzeuge an, verwüstete ein Restaurant, durchbrach eine Polizeisperre.
Die Kantonspolizei betont, die Zusammenarbeit mit der Stadtpolizei Zürich funktioniere «sehr gut». Die verantwortlichen Stellen stünden in regelmässigem Austausch.
Mangelhaft vernetzt
Aber sogar in Bern hat man das Problem erkannt. In einer Evaluation des «Nationalen Aktionsplans zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus» hiess es bereits Ende 2021: «Ein zentrales Defizit betrifft den heutigen Stand in der Vernetzung zwischen den verschiedenen Behörden und das Informationsmanagement.» Beides sei «mangelhaft», eine Kultur des Austauschs zwischen den Institutionen «noch nicht erkennbar». Gemäss dem neuen Aktionsplan von Ende 2022 bestehen im Bereich der Prävention weiterhin «Lücken». Namentlich die Vernetzung sei auszubauen, der Informationsaustausch zu verbessern.
Der Nachrichtendienst des Bundes registriert jährlich rund 200 Vorfälle mit linksextremem Hintergrund, ein Teil davon gewaltsamer Natur. Wie der NDB in seinem aktuellen Lagebericht schreibt, gehe man von einem «markanten Bedrohungspotenzial» der gewalttätig-linksextremen Szene aus und rechne damit, dass diese «ihr Engagement fortsetzen».
Tatsächlich gelang es der linksextremen Szene in der jüngsten Vergangenheit, verstärkt zu mobilisieren – ein Beispiel dafür war «Züri nazifrei». Mit der Bewegung um den Frauenstreik 2019 entstand zudem eine Reihe von neuen, teilweise militanten Gruppierungen. So kam es am Internationalen Frauentag, dem 8. März, in den letzten Jahren häufiger zu Ausschreitungen.
2021 waren an einer unbewilligten Demo in Zürich mit Hunderten Teilnehmenden wüste Szenen zu beobachten: Ein Polizist schlug einer Frau, die ihn gebissen hatte, mehrfach gegen den Kopf. Es habe sich um Ablenkungsschläge gehandelt, hiess es danach. Die Polizei hatte zuvor mehrfach Pfefferspray eingesetzt, um den Aufmarsch zu stoppen.
Die Stadtpolizei wird nun, wie es heisst, ihren Einsatz von letzter Woche analysieren und die Erkenntnisse in die künftige Einsatzplanung einfliessen lassen. Klar ist: Die Szene «kocht» weiter. Militante haben für den Frauentag am 8. März bereits zur Demo aufgerufen.
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